Pater Günther lebt als Eremit Der Klausner im Kinzigtal

Die Einsiedelei besteht aus der Kapelle St. Jakob und einem Wohnhaus.Kurz vor Mittag läutet Pater Günther die Glocke seiner Kapelle. Er lebt als Eremit oberhalb des Kinzigtals. Foto: Uli Fricker

Pater Günther lebt als Eremit im Schwarzwald. Der Pater wohnt zwar allein, er ist aber nicht der Typ des Eigenbrötlers, der sein Haus abriegelt und seine Bücher hortet.

Das helle Läuten der Glocke hört man von Weitem. Wer das Städtchen Wolfach mit seinem Rathaus aus rotem Sandstein verlässt und dem Bimmeln folgt, steht nach 20 Minuten auf einer breiten Lichtung. Seit vielen Jahrhunderten steht dort eine geräumige Kapelle, die dem Pilgerpatron Jakobus geweiht ist. Daneben ragt ein stattliches Wohnhaus auf. Viel Fachwerk und hellgrüne Fensterläden. Der durchdringende Klang der Glocke führt den Besucher zur Mittagszeit an diesen kleinen Kraftort oberhalb des Kinzigtals. Man benötigt keinen Wegweiser, um den Weg zu finden – die Schelle führt den Wanderer zuverlässig vors Haus.

 

Pater Günther läutet die Glocke von Hand. Es ist kurz vor 12, und der Geistliche hat eben das Mittagsgebet mit dem Gruß des Herrn beendet. Er schließt ab, indem er kräftig an dem Seil zieht, das den Klangbecher in Bewegung setzt und den zierlichen Dachreiter leicht zittern lässt. Die Leute im Ort wissen, dass die Glockentöne nicht der exakten Zeitmessung dienen, sondern ein liturgisches Zeichen setzen. Jetzt ist erst einmal Pause. Der Pater beeilt sich, er schlüpft schnell aus der weißen Tunika, die er immer für das Mittagsgebet trägt.

In Küche und Haushalt ist Pater Günther ein Alleinunterhalter

Die Mittagszeit ist ein günstiger Zeitpunkt, um bei dem Geistlichen zu klingeln. „Haben Sie etwas Appetit mitgebracht?“, fragt er, und weist schon den Weg in die Küche. Wer jetzt Nein sagt, begeht einen Fehler. Der Pater wirft routiniert den Herd an, setzt eine Pfanne mit Kartoffelscheiben auf, schneidet Fleischkäse auf und findet im Kühlschrank noch gerösteten Speck. „Das habe ich zuhause gelernt. Beim Kochen habe ich immer meiner Mama zugeschaut“, sagt er und salzt erst mal kräftig. Auf den gebräunten Fleischkäse packt er noch zwei Spiegeleier und meint jovial: „Sie können auch mehr haben.“ Beide Teller sind solide gefüllt. In der kleinen Küche steht eine Brutzelwolke.

Dass er bei seiner Mutter gut aufgepasst hat, zahlt sich heute aus. Der 64-Jährige lebt als Eremit in der Klause St. Jakob. In Küche und Haushalt ist er Alleinunterhalter. Er hat sich einer besonders fordernden Form des Christseins verschrieben. Eremiten leben die älteste Form des Mönchtums. Lange bevor sich das Leben in Gemeinschaften mit einer festen Regel etablierte, machten sich Männer und Frauen auf, um auf einer Insel oder einer Höhle zu leben. Sie sagten der Zivilisation Ade. Verbunden war die Gottsuche oft mit dem Ideal des Asketen. An Essen und Trinken wurde gespart.

Pater Günther steht ganz bewusst in der Tradition der Eremiten, nur der Askese verweigert sich der Mann mit dem gütigen Lächeln. Er ist ein guter Koch und gesunder Esser, der sich den Bauernschmaus gut schmecken lässt. Aus einem Tetrapack gießt er sich ein Glas Eistee ein, wahlweise gibt es auch Leitungswasser. „Wer alleine lebt, braucht eine Ordnung“, sagt er zwischen zwei Gabelbissen. Der Tag ist streng geregelt. Er steht um sechs Uhr auf, dann rollt sein Tagwerk ab. Der Klausner hält das Stundengebet der Mönche, er feiert Messe, empfängt Besucher, kocht, isst. Die kräftige Kost fordert ihren Tribut, also hält er ein Schläfchen. Der Tag endet mit der Komplet (Nachtgebet) um 22 Uhr. Im Bett befasst er sich mit Büchern, bevor ihn der Schlaf abholt. Auch beim Lesen geht er mit System vor: Er greift abwechselnd zu einem historischen Roman und dann zu einem theologischen Buch. Nur die Leibesübungen kommen zu kurz, wie er leise bemerkt: „Ich müsste vielleicht eine Sporteinheit einbauen.“

Er kann gut mit Menschen umgehen

Eigentlich gehört der Pater einem Missionsorden an. Sein Chef hat ihm eine Auszeit angeboten, da kam die Betreuung der Kapelle St. Jakob und der zugehörigen Klause gelegen. Also wurde Günther ins Kinzigtal entsandt. Er kann von dort jederzeit zurückgerufen werden. Doch haben seine Ordensoberen schnell gemerkt, dass sich der neue Klausenmeister nicht nur in der Küche geschickt anstellt. Er kann auch mit Menschen gut umgehen. Der gebürtige Mönchengladbacher will nicht nur alleine in dem Kirchlein mit drei vergoldeten Altären sitzen und sein solitäres Glück genießen. Er besitzt Ausstrahlung, das Charisma eines christlichen Sozialarbeiters. Und er freut sich, wenn Leute vorbeischauen. Während er am Essen sitzt, läutet immer wieder das Telefon. Später schellt es an der Tür. Der Pater ist viel allein, aber kaum einsam.

Die Einsiedelei besteht aus der Kapelle St. Jakob und einem Wohnhaus. Foto: Uli Fricker

Der buchstäblich einzigartige Lebensweg war Günther Kames nicht an der Wiege gesungen worden. Als junger Mann lernte er das Handwerk des Raumausstatters. Den Weg ins Priestertum erkämpfte er sich über den zweiten Bildungsweg. Er trat dem Orden der Missionsoblaten (OMI) bei und machte sich als Wallfahrtsleiter einen Namen. Sein großes Glück beschreibt er so: „Immer wieder gibt es Leute, die mich unterstützen.“ Es ist wohl sein Talent, im richtigen Moment auf den richtigen Menschen zu stoßen.

Auch in Wolfach traf er ins Schwarze. Mehr durch Zufall hörte er von der leerstehenden Klause oberhalb des stillen Tales. Sein Vorgänger Bruder Otto – ein Original vor dem Herrn – war überraschend verstorben. So standen Bethaus und Eremitage erst einmal leer. Pater Günther sagte der katholischen Pfarrgemeinde gerne zu, als er von der ungewöhnlichen Stelle erfuhr. Das heimelige Anwesen erschien ihm wie aus einem Schwarzwaldmärchen gefallen. „Nur von der Größe des Anwesens war ich überrascht“, sagt er im Nachhinein. Die Eremiten der Antike hatten nicht so viel Platz und auch kein Gästezimmer.

Ein geistlicher Allwetter-Begleiter

Vor allem die kleine Kirche hat ihn begeistert. Sie ist in vorzüglichem Zustand, mit intakter Glocke, stabilen Bänken und freundlichen Heiligenfiguren. Auch die Gründungssage ist in der Kapelle im Schwarzwälder Stil aufgemalt: Demnach hörten einige Bauernkinder eines Tages eine liebliche Stimme, die aus einer Tanne tönt. Sie folgten dem Gesang und entdeckten eine Jakobus-Statue. Später wurde für die hölzerne Figur eine Kapelle gebaut. So fing alles an. Pater Günther steht versonnen unter dem Bild und sagt: „Das ist eine Legende, klar.“

Schnell erkannte er, dass der Gottesmann in der Waldklause wenigstens zwei Aufgaben hatte: Einerseits lebt er als Eremit und kümmert sich um die Kapelle; zugleich wirkt er als geistlicher Allwetter-Begleiter mit einem weiten Spektrum an Aufgaben. Ein Mann für alle Fälle, die ihm über den Weg laufen. Wer wandert, hat auch Sorgen im Gepäck.

Zufällig führt neben dem „Jakobsweg Kinzigtal“ auch der Wanderweg von Schramberg und Villingen hier vorbei. Er berichtet: „Immer wieder klingeln Wanderer. Der eine bittet nur um einen Kaffee, andere können nicht mehr weiter.“ Für beide hat der Klausner guten Rat und kleine Tat: „Einen Kaffee gibt es bei mir immer. Und ich habe immer eine halbe Stunde Zeit zum Reden.“ Geschenkte Zeit ist nicht selbstverständlich. 30 Minuten für einen wildfremden Menschen. Das Refugium hat auch einige einfache Zimmer, die er Wanderern günstig anbieten kann. Er wird keinen fortschicken.

Am Sonntag folgt mancher dem Läuten

Die Wolfacher sind froh, dass in der Einsiedelei wieder Licht brennt und das Läuten durch den Wald dringt. Das Anwesen oberhalb des alten Amtsstädtchens ist Teil ihrer Identität. Ein Förderverein kümmert sich um die Instandhaltung von Haus, Hof und Heiligtum. Der Pater könnte das alleine nicht stemmen. Die kleine Spendendose, die neben der Haustür hängt, gibt nicht genug her. Doch geht es nicht nur um die finanzielle Seite. Für die Christen im Tal ist St. Jakobus ein Ort, der dazugehört. Am Sonntag folgt mancher dem Läuten, das der Pater Eremit am Seil auslöst. Dann wissen alle Wolfacher, dass ihr Pater eine Messe zelebrieren wird. Jeden 25. Oktober hat der Seelsorger volles Haus. Auf dieses Datum fällt das Patrozinium des Apostels Jakobus, dem Patron der Pilger. Dann kommt der halbe Ort hoch und füllt den Platz vor der Kapelle. Die Besucher schleppen Bänke und Biertische an, die Frauen bringen Kuchen mit, später wird gegrillt. „Dann gehe ich von Tisch zu Tisch, das ist wichtig“, sagt der Mann. Am Jakobstag schlüpft er gerne in die Rolle des Festwirts.

Auch diese Rolle liegt ihm, auch wenn er sie erst lernen musste. „Als Kind war ich still“, berichtet er, während er die Küche aufräumt und die Bratpfanne bearbeitet. „Inzwischen bin ich gesellig geworden. Ich freue mich, wenn Menschen hier hochkommen. Irgendetwas nimmt jeder mit.“ Wie lange ihn sein Orden im Schwarzwald lassen wird, weiß er nicht. Er macht eine Gebärde mit den Handflächen, die sich nach außen drehen und öffnen. Für ihn steht jedenfalls fest: „Ich fühle mich sauwohl hier“. Der spirituelle Leiharbeiter, der in diesem Tannenheiligtum nur kurz parken wollte, ist heimisch geworden. Wer die Einkäufer und Händlerinnen am Wochenmarkt befragt, wird oft ein Kopfnicken ernten. „Ja, den Pater oben kennen wir“, heißt es dann. Den Schwarzwäldern wird gerne nachgesagt, dass sie sich mit Fremden erst schwertun und mit ihrer Freundschaft zögern. Beim Hüter der Jakobskapelle ging es deutlich schneller. Er erfuhr schnell das Glück des Dazugehörens. Das Städtchen freut sich, dass in der Einsiedelei neues Leben eingezogen ist.

Das ist seiner menschennahen Art geschuldet – und der Aura des Ortes. Der Pater wohnt zwar allein, er ist aber nicht der Typ des Eigenbrötlers, der sein Haus abriegelt und seine Bücher hortet. Es verhält sich wie in Wilhelm Hauffs bekannter Schwarzwald-Erzählung vom kalten Herz: Der Wanderer, der auf einem der vielen Pfade unterwegs ist, hofft jederzeit auf einen guten Geist, der aus dem Tannendickicht hervortritt und ihm hilft. Das moderne Märchen von St. Jakob findet ein gutes Ende, das mit Geld kaum aufzuwiegen ist: Wer hier mit schwerem Rucksack vorbeischaut, kann mit guten Worten und einer heißen Tasse rechnen.

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