Eine Ärztin aus Echterdingen schließt urplötzlich ihre Praxis und hinterlässt ratlose Patienten. Mit ihr verschwinden Krankenakten.

Echterdingen - Natürlich steht es jedem Menschen frei, sein Leben von heute auf morgen zu verändern. Aus welchen Gründen auch immer. Bei niedergelassenen Ärzten sieht die Sache jedoch etwas anders aus. Sie haben Pflichten gegenüber ihren Patienten, auch wenn sie ihren Arztsitz niederlegen. „Jeder Arzt hat die Krankenakten seiner Patienten zehn Jahre lang aufzubewahren“, sagt Oliver Erens, der Leiter der ärztlichen Pressestelle der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Und ergänzt: „Auch wenn er seine Praxis aufgibt.“

 

Kai Sonntag, der Sprecher der kassenärztlichen Vereinigung, sagt Ähnliches. Wenn ein Mediziner seine Praxis aufgibt, müsse er seine Patienten darüber rechtzeitig informieren und mit ihnen vereinbaren, wie mit deren Akten umgegangen werden soll. Alles andere sei ein Verstoß gegen die Berufsordnung und könne kammerrechtlich geahndet werden.

Dennoch gibt es offenbar Doktoren, die sich an diese Vorschriften nicht halten – wie ein Beispiel aus Echterdingen zeigt. Vor gut zwei Wochen wollte sich eine Herzpatientin neue Medikamente von der Allgemeinärztin ihres Vertrauens verschreiben lassen. Doch unter der gewohnten Nummer meldete eine Automatenstimme: „Kein Anschluss unter dieser Nummer“. Maja Sommer (Name von der Redaktion geändert) dachte zunächst, dass vielleicht mit der Telefonverbindung etwas nicht stimmt. Sie fuhr zu der Praxis und erlebte eine unschöne Überraschung: Das Praxisschild war abmontiert, der Briefkasten zugeklebt. Maja Sommer musste feststellen, dass ihre Ärztin verschwunden ist. Sie sagt: „Ich bin nicht die einzige Patientin, die ratlos zurückgelassen wurde.“

Krankenakten sind mit Ärztin verschwunden

Wie zu erfahren war, hat die Medizinerin, ohne sich groß zu verabschieden, ihre Praxis Ende Januar geschlossen. Auch von den Mitarbeitern der Apotheke nebenan hat sie sich verabschiedet. Die Dame hat lediglich eine kleine Anzeige im Amtsblatt von L.-E. veröffentlicht. Auch dort fasste sie sich kurz: Sie bedankt sich für das Vertrauen und wünscht den Patienten alles Gute für die Zukunft.

Maja Sommer hatte diese Anzeige nicht gelesen – wie vermutlich viele andere Menschen, die in Krankheitsfällen dieser Praxis ihr Vertrauen geschenkt haben. Hinzu kommt: Mit der Ärztin sind auch die Krankenakten der Patienten verschwunden.

Im Fall der Herzpatientin ist die Akte besonders dick. Aufgrund ihres Herzinfarkts braucht sie die Unterlagen, um nachweisen zu können, dass sie auf bestimmte Medikamente angewiesen ist. „Ich habe die Medikamente von meiner neuen Ärztin zwar bekommen – auf Vertrauensbasis“, sagt sie. Dennoch muss sie nun ihre Akte mühevoll erneut zusammenzustellen. Die Frau klappert Krankenhäuser ab und sucht Kardiologen auf, die sie untersucht haben. Sie sagt: „Bei mir ist noch mal alles gut gegangen. Was aber ist mit den älteren Menschen, die sich nicht zu helfen wissen?“

Die verschwundene Medizinerin hat derweil ihren Arztsitz bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg abgemeldet. „Sie ist also keine zugelassene Ärztin mehr“, sagt Sonntag, der Sprecher der Organisation. Und: „Wir wissen nicht, warum sie ihre Praxis aufgegeben hat.“

Die Kassenärztliche Vereinigung will nun den momentanen Aufenthaltsort der Frau ausfindig machen und sie auf ihre gesetzlichen Pflichten hinweisen. Hat sie keinen Erfolg, muss – laut Sonntag – die Landesärztekammer von Baden-Württemberg aktiv werden.