Der Amerikaner Patrick Angus tauchte in seinen Gemälden ein in die schwule Subkultur New Yorks. Mit 38 Jahren starb er an Aids.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Einige sind verheiratet, der Ehering verrät sie. Andere kommen direkt aus dem Büro und haben die Krawatte noch umgebunden. Jetzt aber sitzen sie einträchtig beisammen, die Familienväter oder Geschäftsleute, jung und alt, und schauen den Männern zu, die nackt über die Bühne tanzen. Mal wird Bowle, mal Bier aus der Büchse nebenher getrunken, aber vor allem hängen die Blicke an den schönen Körpern dieser Burschen, die knapp volljährig sein werden. Man ahnt, dass einige der Kunden ihre Sehnsüchte nur verborgen in diesen Clubs ausleben.

 

Als der Maler Patrick Angus 1980 nach New York zog, verdiente er sich sein Geld als Aufsicht im Museum of Modern Art – und zog abends durchs Nachtleben. In Zeichnungen und Gemälden hat er die schwule Subkultur in Bars, Clubs und Bädern dokumentiert, ohne dabei je aufdringlich oder reißerisch zu sein. Nachdem die Stuttgarter Galerie Fuchs das Werk von Patrick Angus aufgespürt hat, widmet das Kunstmuseum Stuttgart dem amerikanischen Maler nun eine Werkschau und begegnet man im Kubus entsprechend geballter Männlichkeit. Allüberall nackte Jungs mit oder ohne Tennissocken, Männer am Strand, auf dem Sofa lümmelnd oder im Sommer auf dem Balkon. Und immer wieder auch Stripper in Clubs oder Männer beim Sex. Aber selbst das geschieht bei Angus leise, beiläufig und unspektakulär. Nüchtern, fast sachlich wirken seine Bilder.

Trotz seines frühen Todes hat Angus ein pralles Werk hinterlassen

„Privat Show“ nennt sich die Ausstellung und spielt auf die Frage „Would you like a privat show?“ an, mit der Tänzer die Kundschaft animieren. Patrick Angus, der 1953 in Kalifornien geboren wurde, zog nach dem Kunststudium in Santa Barbara nach Los Angeles und weiter nach New York, wo er mit nur 38 Jahren an Aids starb. Trotz seines kurzen Lebens hat er ein üppiges Werk hinterlassen. Mehr als 200 Arbeiten sind im Kunstmuseum zu sehen, im Obergeschoss wurden die Wände eigens Rotbraun gestrichen für die Momentaufnahmen aus Pornokinos und Strip-Theatern, die Angus skizzierte. Er hat aber auch Landschaften, Porträts und Interieurs gemalt, seine Freunde in ihren Wohnungen, die Eltern beim Lesen, Passanten im Park.

Im Kunstmuseum begegnet man dem Maler auf mehreren Selbstporträts, die ihn als ernsten jungen Mann zeigen, unsicher, suchend – wie auch sein künstlerisches Werk wirkt. Einige seiner Buntstiftzeichnungen und Gemälde verraten sein handwerkliches Können, dennoch wirken viele Arbeiten tastend. Hier eine Stadtansicht, bei der die Gebäude zu abstrakten Blöcken reduziert wurden, dort Stillleben mit flüchtigem Strich. Die Kompositionen sind meist konventionell. Man sieht den Szenen auch an, dass Angus mit collagierten Fotovorlagen arbeitete, denn die Figuren werden summarisch gereiht. Die Porträts seiner Freunde verraten wenig über deren Charakter, oft sind es lediglich die Requisiten wie Toaster oder Telefon, die eine zeitliche Einordnung der Gemälde ermöglichen.

Manets „Frühstück im Freien“ mit nackten Männern

Patrick Angus hat sich auch immer wieder auf die Kunstgeschichte bezogen, hat in einer Hommage an Picasso den Kubismus imitiert oder eine schwule Fassung von Édouard Manets „Frühstück im Freien“ (1863) geliefert, bei der auch die Männer nackt sind. Trotzdem geht es hier weniger um malerische Fragen, sondern eher um Selbstvergewisserung und die Sichtbarmachung der eigenen sexuellen Identität und Lebenswelt. „Die schwulen Männer sehnen sich danach, sich selbst zu sehen“, meinte Angus, „wir müssen uns also selber darstellen, darum geht es in meinen Bildern“. So gibt er Einblicke in diese Männerwelt – ohne zu kommentieren oder zu werten.

Mitunter mögen die Ergebnisse unentschieden und nicht ausgereift wirken. Angus hat die Kunstgeschichte sicher nicht fortgeschrieben. Interessant ist sein Werk vor allem, weil er das homosexuelle Milieu so offen in die Kunst geholt hat. „Wir lesen das Werk im Begriffsfeld des Schwulseins“, heißt es entsprechend im Kunstmuseum, das mit dieser Ausstellung die Diversität der Gesellschaft auch im Museum sichtbar machen will. Dass es bereits im Vorfeld Debatten gab, ob die Gemälde von Patrick Angus womöglich jugendgefährdend sein könnten, zeigt, dass hier noch viel Arbeit ansteht und noch immer mit zweierlei Maß gemessen wird: An weiblicher Nacktheit stößt sich im Museum niemand.

1992 lösten die Bilder von Angus einen Skandal aus

Man darf also gespannt sein, ob es auch diesmal zu reflexhafter Empörung kommt wie bei einer Hochschulausstellung 1992 in Santa Barbara, als Angus mit seinen Bildern einen kleinen Skandal auslöste. Es mussten schließlich Sichtschutzwände aufgestellt werden. „Is this Pornography?“ titelte damals die „Daily Nexus“, dabei ist Angus über den Vorwurf, pornografisch zu sein, absolut erhaben. Eben weil er sich seinen Motiven so vorsichtig und unentschieden nähert, sind selbst Darstellungen expliziter sexueller Handlungen gänzlich unaufgeregt und frei von jedem Voyeurismus.

Die Männer mögen nackt oder auf einigen Arbeiten gar erregt sein, aufreizend ist das nicht. Im Katalog erinnern Fotografien an die heißen Tänze der Stripper im New Yorker Gaiety Theatre in dieser Zeit – und machen den Unterschied deutlich zwischen Malerei und Realität: Angus verzichtet auf die pralle Fleischlichkeit und kraftstrotzende Potenz der muskelgestählten Männer. Seine Szenen wirken oft sogar trist und trostlos. „My Heart goes Bang Bang Bang Bang“ (1986) ist eine traurige Veranstaltung, bei der ein Jüngling auf der Bühne vom Publikum kühl taxiert wird. Das wirkt kläglich – und alles andere als anstößig.

Den großen Durchbruch hatte Patrick Angus zu Lebzeiten nicht. Erst in seinen letzten Jahren, als er bereits krank war, stellte er häufiger aus. Immerhin, einen Erfolg besonderer Art erlebte er noch: Sein großes Idol, der britische Maler David Hockney, besuchte den kranken Künstler und kaufte immerhin sechs seiner Bilder.