Der Wechsel in die schwäbische Heimat, das Debüt in der Handball-Nationalmannschaft inklusive Olympia-Traum – hinter Handball-Profi Patrick Zieker liegt ein bewegtes halbes Jahr. Wie geht der TVB-Spieler mit der Corona-Zwangspause um?

Stuttgart - Es gehe ihm gut, versichert Patrick Zieker. Angesichts der Meldungen, die Handball-Nationalmannschaft hätte nach einem positiven Corona-Test von Löwen-Profi Yannick Kohlbacher in Zwangsquarantäne gemusst, eine gute Nachricht vorneweg. „Die Konsequenzen für die einzelnen Spieler waren unterschiedlich“, erzählt der Profi. Die Meldungen, das ganze DHB-Team sei nach dem Kohlbacher-Befund in Quarantäne geschickt worden, bezeichnet er als falsch. „Das wurde von Fall zu Fall und Bundesland zu Bundesland anders gehandhabt.“ Seine Familie und er seien seit fast zwei Wochen in freiwilliger häuslicher Quarantäne, erzählt Zieker, der im Zuge der Corona-Krise seinem Beruf nicht mehr nachgehen kann.

 

Aufstieg im Eiltempo

Dabei nahm die Karriere des 26-Jährigen seit seinem Wechsel zum TVB Stuttgart erst so richtig Fahrt auf. Im Sommer 2019 wechselte der gebürtige Ludwigsburger vom TBV Lemgo Lippe zurück in die schwäbische Heimat, die er noch 2012 aus Bietigheim in Richtung Lemgo verlassen hatte. Seither wohnt er mit Ehefrau, Kind und zwei Hunden in Murr. Unter Trainer Jürgen Schweikardt entwickelte er sich beim TVB zu einer Stütze in der Defensive und der Offensive. Bei der EM im Januar kam es dann zum Debüt im Nationalteam, verbunden mit dem Traum einer Olympiateilnahme. Ein rasanter Aufstieg ins Rampenlicht, der jäh unterbrochen wurde. Und jetzt? Pause, abwarten, Ungewissheit. Nicht nur für Zieker – nahezu der gesamte Weltsport steht still.

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Die Olympischen Spiele sind auf 2021 verschoben. Die Handball-Bundesliga pausiert bis 22. April. Mindestens, wie alle Beteiligten sagen. Für Zieker stand daher zunächst einmal „durchatmen und runterfahren“ auf dem Programm. „Ein Ende der Pause ist ja nicht absehbar“, sagt Zieker. Natürlich hält sich der Musterprofi fit. Joggen, Krafttraining, Stretching – alles zu Hause, aber alles ohne die Intensität, die der normale Trainings- und Bundesligaalltag beinhalten würde. „Es liegt natürlich in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich bestmöglich fit zu halten“, so Zieker.

Mentale Herausforderung für die Profis

Die größere Schwierigkeit sieht der Linksaußen eher im mentalen Bereich. „Es ist schwierig, weil wir nicht dicht dran sind am Geschehen und die Entwicklungen auch nicht vorhersehbar sind.“ Neuigkeiten erfahren die Profis in der Regel auch aus den Nachrichten. Klar sei lediglich allen Beteiligten, „dass es in den kommenden Wochen erst mal nicht weitergeht“.

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Für Zieker steht ohnehin fest, dass erst wieder gespielt werden darf, „wenn die Situation unter Kontrolle ist“. Der Spielbetrieb im Profisport dürfe nicht an erster Stelle stehen, wenngleich ihm die schwierige Situation der Proficlubs bewusst sei. „Vielleicht gelingt es ja, die Verbreitung des Virus so zu verlangsamen, dass gewisse Dinge wieder anlaufen können.“ Damit meint er die auch in der Fußball-Bundesliga angestrebte Lösung eines Saisonendspurts vor leeren Rängen. Wenngleich er sich menschenleere Arenen nur schwer vorstellen könne, so wäre die ungewohnte Situation zumindest für alle gleich, so Zieker. Einen Abbruch der Saison wollen alle Beteiligten – sofern möglich – verhindern. Schließlich wisse niemand, wie sportlich mit der Situation verfahren werden sollte.

Gehaltsverzicht? „Für viele Vereine geht es ums Überleben.“

Bis es wieder losgeht, verzichten Zieker und viele andere Handballprofis auf Teile ihrer Gehälter. „In der aktuellen Situation muss der Egoismus hinten angestellt werden.“ Im Schnitt sollen die Bundesliga-Handballer auf rund 20 Prozent ihres Gehalts verzichten, wobei der Nationalspieler betont, dass versucht wird, die finanzielle Belastung dem individuellen Einkommen anzupassen: „Wer mehr verkraften kann, gibt mehr. Wer weniger geben kann, gibt weniger.“ Schließlich könne die Situation eines 19-jährigen Jungprofis nicht mit der eines Stars in der Liga und in den jeweiligen Teams verglichen werden. „Wir kommen da nur zusammen durch“, sagt Zieker, dem klar ist, „dass es für viele Vereine auch ums Überleben gehen wird“.

Der Familienvater weiß, dass diese Existenzangst weit über den Profisport hinausgeht, in vielen Bereichen gar gravierender ist. „Wir Handballer verdienen zum Großteil gutes Geld“, so Zieker. Daher macht er sich in der Corona-Krise vor allem um die vielen kleinen Unternehmen und Selbstständigen Sorgen, die gänzlich ohne Einnahmen dastehen und um ihre Existenz bangen müssen. „Das wird eine riesige Herausforderung für unser Land“, sagt Zieker.

Neben Heimtraining steht für ihn derzeit vor allem Zeit mit der Familie und den beiden Hunden auf dem Programm. Lagerkoller? Fehlanzeige. „Das tut unfassbar gut“, betont Zieker stattdessen. Nach einem intensiven halben Jahr scheint nun die Zeit, einmal ganz tief durchzuatmen.