Die Berliner Techno-Größe kommt am Freitag in die Stuttgarter Schleyerhalle. Im Stz-Interview spricht er über seinen Erfolg, sein Selbstverständnis als Handwerker und seinen Bruder Fritz.

Stuttgart – Dem Berliner Techno-Musiker und DJ Paul Kalkbrenner gelingt es, allein mit dem Bedienen diverser Synthesizer und Computer, die Stuttgarter Schleyerhalle zu füllen. Im Interview erzählt der 35-Jährige vor seinem Auftritt am Freitag von seinem Selbstverständnis als Handwerker und von seinem Verhältnis zu seinem Bruder, dem mittlerweile ebenfalls erfolgreichen Musiker Fritz Kalkbrenner.
Herr Kalkbrenner, wie viele Auftritte haben Sie mittlerweile pro Jahr?
Wieder weniger. Nach dem ganzen Erfolg mit dem Film „Berlin Calling“ hatte ich 2009 insgesamt 140 Auftritte. Letztes Jahr waren es etwa sechzig, und dieses Jahr sind ebenso viele geplant.

Und finden Sie es gut, dass das Publikum immer größer wird? Treten Sie gerne in großen Räumen auf?
Ja! Mein Techno kam schon immer besser in einen großen Technoclub mit 3000 Leuten als vor 300 Leuten. Die Formulierung Stadion-Techno, die ich vor Kurzem irgendwo gelesen habe, trifft es.

Sie haben Techno zum Massenphänomen gemacht.
Ich war das? Lassen wir das mal so stehen. Ich fühl mich eigentlich für den ganzen Technoreigen nicht hauptverantwortlich, wenn das aber als Nebeneffekt auftritt, warum nicht?

Wollten Sie so hoch hinaus?
Weiß ich gar nicht. Ich mach das ja schon seit vielen Jahren und war einer von vielen Berliner Techno-Produzenten, hatte einen vollen Kalender und Veröffentlichungen. Heute bin ich froh, dass keiner mehr vor mir steht, der mir auf die Schulter schlägt oder sein Bier auf dem Tisch ausgießt, auf dem meine Geräte stehen.

Welche Nachteile hat der Erfolg?
Mir erwachsen da keine Nachteile.

Und worin liegt dann der größte Vorteil?
Die Unabhängigkeit. Ab einem gewissen Punkt kommt eine gewisse Verantwortung hinzu, weil immer mehr Leute für mich arbeiten. Da werden ja ständig Jobs geschaffen. Diese Verantwortlichkeit möchte ich als Mann in einem gewissen Alter auch einfach übernehmen. Außerdem hat man wirklich Freiheit in den Entscheidungen. Ob das Interviews sind oder Platten – ich mache nur noch, was mir wirklich gefällt.

Für Ihren größten Hit, „Sky and Sand“, hat Ihr Bruder, der Musiker Fritz Kalkbrenner, die Vocals geliefert. Im vergangenen Jahr hat er das Album „Sick Travellin‘“ veröffentlicht und ist damit auf Platz sechs der deutschen Charts gelandet. Herrscht zwischen Ihnen Konkurrenzdenken?
Wäre Fritz nur wenig jünger und dafür viel früher mit seiner Musik ins Licht getreten, dann wäre das sicher so. Aber obwohl er schon echt lange in seinem Kämmerlein rumgebastelt hat und im Gegensatz zu mir ein wandelndes Lexikon in Sachen Musikgeschichte ist, bleiben die vier Jahre Altersunterschied zwischen uns. Als vor zwei Jahren sein erstes richtiges Album kam, war ich einfach nur stolz. Außerdem ist seine Musik ganz anders. Ich hätte nie gedacht, dass wir mal innerhalb eines Jahres zwei Alben rausbringen, die so unterschiedlich sind.

„Ich erzähle immer die gleiche Geschichte“

 

Kritiker finden den Sound Ihres Bruders sogar abwechslungsreicher.
Das soll auch so sein. Es wäre doch furchtbar, wenn alle Kritiker sagen würden: „Nee, also Paul ist heilig.“ Das zeigt nur, wie weit mein kleiner Bruder es schon geschafft hat.

Ist er Ihnen nicht auch zu Dank verpflichtet? Ohne den Nachnamen Kalkbrenner wäre er sicher nicht so schnell so weit nach oben gekommen.
Stimmt. Ich bin ihm aber auch zu Dank verpflichtet. Fritz hat mich auch beeinflusst, gerade als er selbst noch nichts veröffentlicht hatte.

Manche Kritiker werfen Ihnen vor, Ihr neues und sechstes Album „Guten Tag“ sei nicht innovativ.
Es war auch weder gewollt noch geplant, innovativ zu sein. Ich wollte einfach wieder ein Paul-Kalkbrenner-Album machen. Ich erzähle immer die gleiche Geschichte mit demselben Sound. Den Anspruch, innovativ sein, habe ich nicht. In der Popmusik muss man sich natürlich an neue Trends halten, sein Œuvre erweitern, aber ich selber – nein danke. Schuster, bleib bei deinen Leisten, sage ich nur.

Macht einen Künstler aber nicht auch seine Wandlungsfähigkeit, seine nie versiegende Inspiration aus?
Aber ich bin doch notgedrungen inspirationslos! Wenn ich Musik produziere, kapsele ich mich immer komplett ab. Die Musik, die ich währenddessen hören würde, würde sich wie eine Staubschicht auf die Songs legen, die ich in dem Moment produziere. Ich sehe meine Arbeit auch gar nicht als künstlerischen Prozess, sondern entwickle eher einen Handwerkerstolz, wenn ich einen Song fertig habe. Der entsteht, während ich vor dem Rechner sitze und arbeite: mit meinen Händen und den Werkzeugen.

Sehen Sie sich trotzdem als Künstler?
Ich kann verstehen, wenn ich als Künstler durchgehe. Aber das Handwerkliche ist nie weit weg von der Kunst. ,Arts and Crafts’ gehören enger zusammen, als die meisten Leute wahrhaben wollen.