Paul Klee, ein weltvergessener Träumer? Alles Klischee! Der Maler stand durchaus im Leben – das zeigt jetzt eine grandiose Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München.

München - Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Wer an die ständigen Querelen am Bauhaus denkt, könnte bei Paul Klees Selbstporträt mit geschlossenen Augen und ohne Ohren durchaus das von drei Affen verkörperte Sprichwort aus dem fernen Osten einfallen. Zur Zeit der Entstehung 1919 war der Schweizer Maler mit deutschem Pass aber noch in München und hatte ein eigenes Atelier in Schwabing bezogen. Dennoch wurde es turbulent für ihn. Klee, der dem Aktionsausschuss revolutionärer Künstler beigetreten war, musste nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik in die Schweiz fliehen. Überhaupt verlor die bayerische Kunststadt an Bedeutung, nicht zuletzt weil Kollegen wie August Macke oder Franz Marc vom Blauen Reiter im Krieg geblieben waren. Der dreißigjährige Klee, der sich mittlerweile einen Namen gemacht hatte, tat also gut daran, nach neuen Ufern Ausschau zu halten.

 

Ende 1920 wird er ans Bauhaus nach Weimar berufen, sein Galerist Hans Goltz bereitet ihm noch eine fulminante Abschiedsausstellung mit weit über 300 Werken. Doch das alles will nicht so recht zum weltvergessenen Träumer („diesseits bin ich gar nicht fassbar“) und in sich versunkenen Staffelei-Grübler passen, als der sich Klee immer wieder stilisiert hat. Wenn es darauf ankam, stand der Mann mit den zusammengekniffenen Lidern aber sehr wohl im Leben. Auch das vermittelt die erste umfassende Münchner Klee-Schau der Pinakothek der Moderne mit ihren 150 Gemälden und Papierarbeiten. Manches aus den USA oder Japan war zum Teil viele Jahrzehnte nicht mehr in Deutschland zu sehen. Nimmt man die vierzig Landschaften im kooperierenden Franz-Marc-Museum im oberbayerischen Kochel hinzu, tut sich jetzt ein vielgestaltiger Klee-Kosmos auf, der selbst für Besucher der nur wenige Monate zurückliegenden Schau in der Fondation Beyeler neue Aspekte liefert.

Klassischer Maler im Bauhaus – geht das?

Im Münchner Fokus stehen die Jahre am Bauhaus, diesem Labor künstlerischer Experimente, das dem klassischen Tafelmaler einiges abverlangt. Zumal in Weimar und später Dessau neue Medien wie Fotografie und Film angesagt sind und außerdem das Design beträchtliche Förderung erfährt. Rationalisierung und Funktionalisierung lauten die noch unverbrauchten Zauberworte, die Ausrichtung auf Massenproduktion wird von den Direktoren Walter Gropius und dann vor allem Hannes Meyer – beide Architekten – forciert. Überspitzt gesagt, hätte man die freie Malerei am liebsten abgeschafft.

Das aber scheint Klee gerade angestachelt zu haben, seinen Weg in der Tradition eines Leonardo zu gehen und sich ganz selbstverständlich mit den Herausforderungen einer technisierten Welt zu beschäftigen. Der stille Maler, der allenfalls mit seiner Geige laut wird, schwingt keine große Reden, wie das viele der streitfreudigen Bauhäusler tun, er formuliert zurückhaltend und beeindruckt durch seinen Unterricht. Eine Karikatur – er schwebt darauf als Buddha über den Sphären und wird von Studentinnen angebetet – sagt eigentlich alles.

Was bei ihm rätselhaft daherkommt und selten konkret verortet werden kann, ist freilich minutiös ausgetüftelt. Den Ausstellungstitel „Konstruktion des Geheimnisses“ nennt er 1928 selbst im Bauhaus-Magazin. Und wenn mit Hannes Meyer die Geometrie an Bedeutung gewinnt, geht auch Klee ein Stück weit mit, indem er verstärkt schwerelos erscheinende geometrische Figuren in seine Werke einbaut. Dafür wird dann aber der unbegrenzt wirkende Hintergrund zum Mysterium. Der Traum vom Flug durchs Weltall ist hier für einen farbleuchtenden Moment im Dunkeln sichtbar geworden („Raumfahrt“, 1929).

Strichmännchen auf der Himmelsleiter

Natürlich hat Klee lange schon Themen wie das Streben nach Erkenntnis und Höhe aufgegriffen. Doch er transformiert jetzt Aufstieg und Fall, „die menschliche Urtragik“, in seine eigene Zeichenwelt: Während die Fortschrittsgläubigen aufs Flugzeug setzen und an den ersten Raketen basteln, bäumen sich bei ihm märchenhafte Türme auf, kraxeln Strichmännchen fragile Himmelsleitern empor („Koloss im Bau“, 1919) und tanzen Sterne und Mondsicheln „über Bergeshöhen“ (1917). Klees Moderne hat Poesie. Wobei der Absturz nicht lange auf sich warten lässt und am Ende, als sich der an Sklerodermie erkrankte Maler kaum noch rühren kann, mit einiger Ironie auf dem Blatt „leider eher abwärts“ (1939) kommentiert wird.

Zu dieser Zeit hat er sich längst von allen Zwängen befreit. Die Bauhaus-Stelle gab er zehn Jahre zuvor, 1930, auf, weil die Spannungen kaum noch auszuhalten waren, nicht einmal mit seinem ausgeprägten Sinn für Ironie. Etwas von dieser interessierten Distanz würde uns heute, im aus den Fugen geratenen Digitalwahn, gut tun. Auch solche Bezüge ergeben sich in diesem überzeugend konzipierten Klee-Kaleidoskop.