Was für ein Leben: Der Musiker und Beatles-Mitbegründer Paul McCartney wird heute 70 Jahre alt. Er kann auf ein Musikerleben zurückblicken wie wohl kein Zweiter. Auch heute ist er mit seinen Songs noch erfolgreich.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Pete Best ist vermutlich einer der wenigen Menschen auf der Welt, der allerlei gute Gründe hätte, sauer auf Paul McCartney zu sein. Als Schlagzeuger hatte Best nach seiner kurzen Karriere bei den Beatles schließlich jede Menge Pech gehabt. Was er an Projekten auch anging, es ging künstlerisch wie kommerziell in die Hose. Zwischenzeitlich arbeitete er als Bäcker, von 1969 an war er beim Liverpooler Arbeitsamt angestellt, ein Suizidversuch fiel auch in diese Zeit. Und auf die Frage, was genau er eigentlich bei der größten Chance seines Lebens bloß falsch gemacht hätte, bekam er eigenen Angaben zufolge nie eine Antwort. Nur einer von jenen, die kollektiv für das künstlerische Lebensmalheur Bests verantwortlich waren, ließ sich viele Jahre später in einem Interview einmal aus der Reserve locken. Ausgerechnet Paul McCartney war es, der 1987 kundtat, dass die Beatles Pete Best 1962 rausgeschmissen hätten, weil er einfach ein zu schlechter Drummer war.

 

Nun will es der Zufall umgekehrt, dass Pete Best zum einen trotzdem ein sehr reicher Mann geworden ist; die Tantiemen aus einigen Beatles-Songs sowie vor allem die Ausschlachtung des künstlerischen Vermächtnisses in Form der Beatles-Memorabilien auf der „Anthology“-Trilogie haben ihn zum Millionär gemacht. Und zudem ist er nun einmal das einzige Gründungsmitglied der Beatles, das dem anderen Mitbegründer Paul McCartney heute tatsächlich zum Geburtstag gratulieren könnte – und dies altersmilde vielleicht auch tun wird. Denn der Rest der Ursprungsbesetzung der Beatles ist verblichen: Stuart Sutcliffe starb 1962, John Lennon 1980, George Harrison 2001.

Es bleibt Ringo Starr, der Nachfolger Bests als Schlagzeuger, der heuer als fast 72-Jähriger ebenso quicklebendig wie Paul McCartney selber ist – Starr hat allein in den letzten vier Jahren drei Soloalben veröffentlicht. Der Schlagzeuger wird ganz gewiss heute anrufen und dem Bassisten McCartney herzlich zum siebzigsten Wiegenfest gratulieren. Er wird ihn womöglich sogar daran erinnern, dass die Beatles sich überhaupt erst im Souterrain eines Hauses im West Derby District in Liverpool kennenlernten, das Pete Bests Mutter großherzig zu einem Jugendtreff namens Kasbah Coffee Club umgestaltete. Diesen Ort, an dem alles begann, hat Pete Best übrigens selbstlos vor Jahren umgehend nach dem Millionenregen, der auf ihn einprasselte, als Club wiederbelebt.

Den besten Song der Beatles muss jeder für sich selbst suchen

Danken wird Ringo Starr seinem Kumpel Paul McCartney vermutlich für die coole, aber in der Retrospektive doch recht kurze und seit dem letzten Beatles-Konzert am 30. Januar 1969 auch schon lange zurückliegende Zeit mit ebenjener Gruppe, die man getrost als die größte Band aller Zeiten bezeichnen könnte. Wenn man diese These unumstößlich aufstellen könnte. Was man im Prinzip ja auch könnte. Gäbe es nicht den klitzekleinen Einwand namens Rolling Stones, von dem die Rede sein soll, nachdem das Lebenswerk des Musikers Paul McCartney hinreichend gewürdigt wäre.

Denn was ist Paul McCartney für ein toller Bursche. Melodien für Milliarden hat er geschrieben. Songideen für die Ewigkeit. Weltumspannend. Wenn der Blick in die Glaskugel offenbart, dass in vierhundert Jahren – hoffentlich – immer noch Monteverdis vor vierhundert Jahren geschriebene Oper „Orfeo“ auf den Spielplänen der Singspielhäuser in aller Welt steht, darf man andersherum auch – definitiv – sicher sein, dass die Radiosender rund um den Globus noch immer Beatles-Songs spielen werden. In Erinnerung an den Herrn, der seinerzeit in dieser Band Klavier, Gitarre, zumeist aber die Bassgitarre bedient hat und für alle Ewigkeiten im kollektiven Gedächtnis der Musikgeschichte verankert bleiben wird.

Weswegen man die akademische Frage, ob nun die Rolling Stones oder die Beatles die größte Band aller Zeiten sind, getrost beiseiteschieben kann, denn über diese Frage werden sich Beethoven, Bach und Brahms auf ihrer Wolke gewiss nicht den Kopf zerbrechen. Sie zu erörtern wäre so müßig, wie den besten Song der Beatles benennen zu wollen. Den muss ein jeder schon für sich selbst finden. Vermutlich wird die Auswahl ja ohnehin jenseits musikalischer Kriterien gefällt, weil man etwa seine erste Party mit „Penny Lane“ und „Back in the U.S.S.R“ gefeiert, den ersten Stehblues zu „Let it be“ getanzt und seinen ersten Kuss zu „Get back“ bekommen hat – und das festgebrannte, alles überstrahlende Erinnerungen sind.

Albumverkäufe in dreistelliger Millionenhöhe

Zitieren wir also den ungewöhnlichsten aller Beatles-Songs. „When I get to the Bottom I go back to the Top of the Slide / Where I stop and I turn and I go for a Ride / Till I get to the Bottom and I see you again“, lauten die ersten drei Zeilen im fast schon punkrockig bollernden „Helter Skelter“ vom weißen Album, einem Lied, mit dem die Beatles noch so einer Jugendbewegung den Weg bereitet haben. Holterdiepolter (so die deutsche Übersetzung des Wortpaars helter skelter), auf und ab, so ging’s schließlich auch im Leben des am 18. Juni 1942 in Liverpool geborenen McCartney.

Mit allen dazugehörigen Tiefen. Der Bandauflösung nach nur einer Dekade, den allesamt tragisch verstorbenen Mitgliedern, dem Tod seiner Frau Linda, dem Rosenkrieg um die Scheidung von Heather Mills, den zahlreichen Vaterschaftsklagen gegen den sexuell umtriebigen McCartney, dem notorischen bisschen Drogenärger. Und mit dem ganz große Erfolg, der ihm jenseits von „Mull of Kintyre“ mit den Wings verwehrt blieb (wobei das mit dem künstlerischen Erfolg ja immer auch eine Frage der Messlatte ist; und höher könnte sie in seinem Fall schwerlich liegen).

Auf der Habenseite steht ohnehin so viel mehr. Paul McCartney ist der erfolgreichste Popmusiker und Songwriter aller Zeiten, er blickt auf Albumverkäufe in dreistelligen Millionenhöhen zurück, bei deren auch nur annähernd genauer Bezifferung selbst die Plattenfirma nicht mehr durchblickt. Er hat die warmherzigsten („Michelle“), swingendsten („Lady Madonna“) und bestarrangierten („Eleanor Rigby“) Beatles-Songs gesungen oder („Yesterday“) aus seiner Feder fließen lassen. Und er hat die legendären Konzeptalben „Sgt. Pepper“ und „Magical Mystery Tour“ ersonnen.

Der oberste Gentleman der britischen Musik

Über vierzig Jahre schon gibt es seine Band nicht mehr, das ist dann doch der entscheidende Unterschied zur zweiten größten Band aller Zeiten. Aber „Macca“ kann nach wie vor als Solokünstler in Minutenschnelle jede Arena der Welt ausverkaufen, in der er sich zu Konzerten ansagt. Und das tut er nach wie vor gerne. Der längst zum Sir geadelte Unterstützer der Tierschutzorganisation Peta lebt vegetarisch und mit seinem gutem Karma nach wie vor ein erfülltes und erfüllendes Musikerleben.

Er spielt auf seinen Tourneen natürlich noch immer die (auf den Konzerten auch stets meistbejubelten) Beatles-Klassiker, aber er fleddert das Erbe nicht, sondern lässt es aufleben. Er, der im Gegensatz zu John Lennon bereits aus gutbürgerlichem Hause kam, hat zwar ein bisschen Revolte hinter sich, die er mitinszeniert hat (oder sich die Inszenierung gefallen ließ); er ist aber längst zum obersten Gentleman der britischen Musik gereift, dieser so große wie großartige Musiker, der heute in sich ruhend, aber kein bisschen leise seinen siebzigsten Geburtstag begeht.