Projekt mit Theaterleuten und Süchtigen unter der Paulinenbrücke

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Manchmal ist das Leben eben doch ein Wunschkonzert, selbst für die Menschen unter der Paulinenbrücke mit ihren Suchtbiografien. „Was wünscht du dir heute?“ Auf diese Fragen hatte die Szene unter der Brücke eine Menge Antworten parat, die sie mit Kreide auf den Boden notierte: Respekt, Friede, Freude, Liebe und, dass die Polizei „nicht immer so grob zu uns“ ist. Die Kreidebotschaften waren der Auftakt zu einem Kunst- und Kooperationsprojekt zwischen dem Paule Club und dem Volks*theater.

 

Auf Augenhöhe

Der Paule Club wurde vor etwa zwei Jahren gegründet und besteht aus drogenkranken und substituierten Ehrenamtlichen, die den anderen Suchtkranken unter der Brücke helfen – mit warmen Mahlzeiten, sauberen Spritzen und Gesprächen. Und das Volks*theater ist ein Ensemble am Theater Rampe, bestehend aus Laien- und Profischauspielern, die eigene Stücke schreiben, in denen sie das Leben in der Stadt reflektieren. „Wir wollten die Empowerment-Arbeit des Paule Club mit unseren künstlerischen Mitteln unterstützen. Auf Augenhöhe, nicht von oben herab. Leute vom Paule Club gehörten mit zur künstlerischen Leitung des Projekts“, erklärt Regisseurin Philine Pastenaci. Man holte auch die Landesarmutskonferenz (LAK) ins Boot, die den Paule Club in die Politik vernetzen sollte, anschließend wurden Fördermittel beantragt und bewilligt. Nun konnte es losgehen.

Tanzen unter der Brücke

Es begann im Januar mit jenen Botschaften in Kreide. Es gab Antworten auf weitere Fragen – etwa „was sollte sich ändern?“ oder „Wie geht man am besten mit Trauer um?“ Denn mit dem Abschiednehmen kennen sich die Menschen unter der Paulinenbrücke aus. Viele sind obdachlos, das Essen, das der Paule Club jeden Mittag verteilt, ist für viele die einzige Mahlzeit am Tag. Das sind keine gesunden Leben. Seit dem Frühjahr sind wieder vier Frauen und Männer gestorben. Grablichter wurden für die Toten angezündet bei der kleinen Vernissage zum Abschluss des Gemeinschaftsprojekts, das am Mittwoch unter Brücke stattfand. Denn in den letzten Monaten sind in verschiedenen Workshops auch Werke entstanden, die nun ausgestellt wurden – Zeichnungen und Fotografien. Die Teilnehmer haben sich gegenseitig porträtiert und sind mit Hilfe der Kamera der Frage nachgegangen, was für sie Identität bedeutet. Die fotografischen Antworten könnten unterschiedlicher nicht sein – jemand hat beispielsweise seinen Hund fotografiert oder eine Frau sich dabei, wie sie sich selbst tätowiert. „Ziemlich gefragt war zu unserem Erstaunen der Tanz-Workshop“, der wie alle anderen Kurse unter der Brücke stattfand, berichtet Philine Pastenaci. Auf dem Instagram-Kanal des Paule Clubs kann man sich nun Fotos aus den Workshops ansehen.

Gehör finden

Simon Wittke vom Paule Club freute sich am Mittwoch darüber, dass zur Vernissage auch Lokalpolitiker gekommen waren. Die SPD-Stadträtin Lucia Schanbacher und der Grünen-Bezirksbeirat Reinhard Otter würdigten in kurzen Ansprachen das Engagement der Akteure.

„Es ist gut, dass wir langsam wahrgenommen werden“, meinte Simon Wittke. Denn auf diese Weise, so seine Hoffnung, würden auch die Bedürfnisse der Leute unter der Brücke eher Gehör finden – allen voran die Einrichtung einer Toilette. Ein Ort für Notdurft habe auch mit Menschenwürde zu tun, konstatierte Roland Saurer, Sprecher der LAK: „Die Unterversorgung an diesem Ort hier ist skandalös!“