Die Bestseller des brasilianischen Autors Paulo Coelhos sind für Millionen Leser eine Lebenshilfe und für ihn selbst ein Weg zur Selbsterkenntnis. Nun wird Coelho 75 Jahre alt.

Der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho sei mindestens zweimal geboren worden, schreibt sein Biograf Fernando Morais in dem Buch „Der Magier“: Einmal, als er auf die Welt kam, und einmal, als er zum Schriftsteller wurde. Dies geschah seiner Darstellung nach am 23. Februar 1982 in der KZ-Gedenkstätte Dachau, wo Coelho eine flüchtige Begegnung hatte, aus der eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg entstand.

 

Das Tagebuch der Reise nach Santiago de Compostela aus dem Jahr 1987 entwickelte sich zum ersten Erfolg als Autor. Seitdem hat das Schreiben den Brasilianer, der am 24. August seinen 75. Geburtstag feiert, weltbekannt und reich gemacht. Romane wie „Der Alchimist“, „Veronika beschließt zu sterben“ und zuletzt „Und die Liebe hört niemals auf“ wurden Bestseller, laut seinem Züricher Verlag Diogenes in 88 Sprachen übersetzt und mehr als 320 Millionen Mal verkauft.

Protagonisten auf dem Weg der Selbstfindung

Solche Zahlen erreichen oder übertreffen nur andere globale Autoren wie J. K. Rowling („Harry Potter“) oder Dan Brown („Sakrileg“). Um Geld oder Ruhm geht es dem mit Dutzenden Preisen ausgezeichneten Coelho beim Schreiben allerdings nicht. „Es ist ein Weg zur Selbsterkenntnis“, sagte er in einer Zeit, als er noch häufig Interviews gab. Und eine Möglichkeit, seine „Gedanken und Ideen zum Sinn des Lebens und anderen existenziellen Fragen der Menschheit mit unzähligen Lesern rund um den Globus zu teilen“.

Coelho lässt auch seine Protagonisten häufig einen Weg der Selbstfindung gehen. Der Hirte Santiago in dem Buch „Der Alchimist“ zieht von Andalusien nach Ägypten, um einen Goldschatz zu suchen, der letztlich in seiner Heimat unter einer Kapelle vergraben liegt. Für solche Parabeln verehren Coelhos Anhänger ihn als eine Art Guru, darunter der Popstar Madonna und der Literatur-Nobelpreisträger Kenzaburo Oe.

Ein familiäres Trauma

Coelhos Worte mögen eine magische Wirkung haben. Aber seine Sprache ist einfach und seine Botschaften sind leicht verständlich. „Der Alchemist“ eignet sich auch als erste Lektüre für Menschen, die Portugiesisch lernen.

Die Suche nach dem Sinn des Lebens hat Coelho selbst auf extreme Art erfahren. Seine Eltern in Rio de Janeiro wollten, dass der Sohn wie der Vater Ingenieur wird, doch der Sohn begehrte auf. Sein Vater Pedro Coelho hielt ihn für geisteskrank, Paulo wurde in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen und Elektroschocks unterzogen. Diese Erfahrungen verarbeitete er als Schriftsteller später in „Veronika beschließt zu sterben“.

Wendepunkt in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Coelho arbeitete zunächst als Journalist sowie als Theater- und Drehbuchautor. In der Hippie-Zeit machte er Experimente mit Drogen und schwarzer Magie. Eine gewisse Bekanntheit erlangte er in Brasilien bereits als Schreiber der Texte für den Rock-Mythos Raul Seixas, mit dem der Sozialrebell auch die antikapitalistische Haltung teilte. Während der Militärdiktatur (1964–1985), gegen die Coelho in Songtexten protestierte, wurde er gefangen genommen und tagelang gefoltert.

In der KZ-Gedenkstätte Dachau, wo er seinen Dämonen aus der psychiatrischen Anstalt und der Folterhaft begegnete, kam es schließlich zum Wendepunkt in Coelhos Leben - und zur Geburt als Schriftsteller. Vielleicht hat das Schreiben Paulo Coelho gerettet. Auf jeden Fall hat es seiner Seele Gleichgewicht gegeben, so wie die Kunst vielen Malen oder Musikern hilft.

Coelho hat Rio verlassen

In Rio de Janeiro war Coelho seit Jahren nicht mehr. Mit seiner Frau, der brasilianischen Malerin Christina Oiticica, lebt er in Genf. „Heute ist Brasilien eines der am meisten ausgegrenzten Länder der Welt“, sagte er 2021 brasilianischen Zeitung „Folha de S. Paulo“ mit Blick auf den rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Wie viele lateinamerikanische Intellektuelle verortet Coelho sich links der Mitte.

Wenn man bei einem Spaziergang im Stadtteil Copacabana einem schwarzgekleideten Mann mit Spitzbart begegnet, kann es sich dennoch um Paulo Coelho handeln. Er mache diese Abstecher incognito, sagte er der Zeitschrift „Veja“, um die Sehnsucht zu stillen. Er gehe am Strand spazieren, trinke Kokoswasser, besuche seine Lieblingsrestaurants und treffe sich mit einem kleinen, diskreten Freundeskreis.

Selbst wenn Leute ihn erkennen, würden sie nicht glauben, dass es wirklich der berühmte Autor ist. Über die Spekulation, er komme aus Aberglauben nicht nach Rio, weil ihm bei der Ankunft etwas passieren könne, lacht Coelho. Mit den Dämonen der Vergangenheit scheint er sich versöhnt zu haben.