Der Regisseur Pedro Almodóvar wird an diesem Mittwoch 70 Jahre alt. Und die Redaktion erinnert sich an seine schönsten Filme.

Stuttgart - Es gibt Filme, die haben noch gar nicht richtig angefangen, da weiß der Zuschauer sofort: Diese Schauspieler, diese Farben, diese Bilder, diese Musik, diese Geschichte, vor allem: diese Art, die Geschichte zu erzählen – das ist ein Almodóvar. Es gibt nicht mehr viele Regisseure, die völlig unbezweifelbar für ein spezifisch europäisches Kino stehen, aber Pedro Almodóvar gehört dazu. Auch Hollywood hat ihn zwar lieb und natürlich längst mit einem Oscar geehrt. Aber er ist und bleibt Spanier. Und nirgendwo sonst könnten seine Filme spielen als eben hier: in Spanien. Unfassbar, an diesem Mittwoch wird der ewig junge, verspielte Almodóvar 70 Jahre alt, sein Wuschelkopf ist tatsächlich grau geworden. Ein Anlass für Kulturredakteure unserer Zeitung, sich an ihre Almodóvar-Lieblingsfilme zu erinnern.

 

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (1988)

Die Welt ist ein Ort der Verwirrung. Und das Einzige, was uns daraus erlösen kann, sind Filme wie dieser oder die Trompeten des Jüngsten Gerichts. Es ist nach über 30 Jahren nicht mehr ganz genau zu sagen, was den Frauen in dem Film, der Almodóvar den internationalen Durchbruch brachte, so zusetzt: Liebesverrat, ein geplantes Attentat, die komplizierte Psyche der Männer oder ein rotes Telefon, das irgendwann aus dem Fenster fliegt. Vermutlich alles auf einmal, konzentriert auf eine mit schrillem Mobiliar vollgestopfte Wohnung in einem Mietshaus in Madrid. Die erste Begegnung mit den darin ihr Wesen treibenden Almodovar’schen Hausgöttern, Carmen Maura oder dem jungen Antonio Banderas, vergisst man nicht. Doch an der Pforte zum Glücksreich der Erinnerung sitzt eine endzeitverliebte Concierge, und immer, wenn ringsum alles im Chaos zu versinken droht, trällert sie mit manischer Seligkeit vor sich hin: „Ich freu‘ mich auf die Trompeten des Jüngsten Gerichts.“ Stefan Kister

Volver (2006)

Frauen stehen bei Almodóvar oft im Zentrum, der Film „Volver“ gehört ihnen ganz. Geflüchtet vor sozialer Kontrolle, Klatsch und Aberglauben in den Dörfern der Provinz, suchen Frauen in einem tristen Madrider Stadtviertel den Zusammenhalt – sie wollen überleben, ohne ihre Würde und ihre Nerven zu verlieren. Doch sie müssen sich Verdrängtem stellen, um es endlich als Ballast abwerfen zu können. Almodóvar spinnt ein komplexes Netz aus Motiven um seine Protagonistinnen, lässt sie darin zappeln und sich befreien, ohne dass nur eine Frage offenbliebe: Mord, Betrug, Inzest, Lügen – alles verliert seinen Schrecken. Penélope Cruz funkelt als vor Energie strotzende Raimunda, Carmen Maura erscheint als Geist der Mutter, Lola Dueñas sieht als zögerlichere Schwester manchmal klarer. Leichtfüßig und mit feinem Humor löst Almodóvar die vermeintliche Schwere des menschlichen Daseins auf, bis nur ein Seufzer bleibt: Hurra, wir leben noch! Bernd Haasis

Mein blühendes Geheimnis (1996)

Mit einer tollen Tanzszene bringt Almodóvar am Ende dieses Films den Konflikt der Geschlechter sinnbildlich zum Kochen – und zusammen, was zusammengehört: die Bestsellerautorin Leo, der nach einer Ehekrise keiner der begehrten Amanda-Gris-Romane mehr gelingt, und den Journalisten Ángel, der sich perfekt in diesen Kitsch einfühlen kann. Mit Partnerin und trommelnden Absätzen dekliniert Joaquín Cortés, 1995 ein junger Flamencostar, den Ausnahmezustand der Emotionen durch, den Marisa Paredes in der Rolle der Leo grandios durchlebt hat: Leidenschaft! Verzweiflung! „Es gibt keinen Krieg, der mit dir vergleichbar wäre“, sagt ihr Mann, ein Militär, als er gesteht, eine andere zu lieben; er verbietet sich Tränen. Klar gibt es davon jede Menge, dazu tolle Dialoge über Gefühle und wie man mit ihnen umgeht – in der Kunst, im Leben. Das Schönste: wie sich Leos Botschaft der Verzweiflung in eine der Hoffnung wendet: „Von heute auf morgen kann sich die ganze Welt verändern.“ Andrea Kachelriess

Alles über meine Mutter (1999)

„Für alle Schauspielerinnen, die Schauspielerinnen gespielt haben, für alle Frauen, die (schau)spielen, für alle Männer, die (schau)spielen und zu Frauen werden“ hat Pedro Almodóvar 1999 seinen Oscar-prämierten Film „Alles über meine Mutter“ gedreht. Eingebettet in den typischen bunt-kontrastierenden Almodóvar-Farbkosmos, mit viel Glaubwürdigkeit ausgestattet durch grandiose Akteurinnen rund um (die blutjunge!) Penélope Cruz, Cecilia Roth und Marisa Paredes, ist der Film nicht nur eine der zahlreichen Huldigungen des Regisseurs an starke Frauen, sondern auch eine Abrechnung mit dem Machismo. Männer tauchen hier nur als Versager und als Transen auf. Ganz ohne Durchhänger und Verzwungenes kommt die stark assoziative Geschichte zwar nicht aus, aber im Zweifelsfall erfreut man sich eben zwischendurch einfach nur an den auch hier wieder schillernd inszenierten und mit (Film-)Zitaten gespickten Szenen, in denen Kunst und Leben Pingpong spielen. Susanne Benda

Leid und Herrlichkeit (2019)

Tut mir leid, aber mein liebster Almodóvar ist immer der jüngste. Jedes Mal, wenn die Abspannmusik verklungen ist, denke ich: Besser kann man’s nicht machen. Diese ebenso liebe- wie auch respektvolle Nähe zu den Figuren, dieser unbedingte Wille, nichts zu beschönigen, nichts zu veredeln, nichts zu verkitschen! Selbst nach seiner Klamotte „Fliegende Liebende“, in der er 2013 drei wundervoll schrille schwule Saftschubsen, Pardon: Flugbegleiter durch ein Flugzeug auf einem Katastrophenflug hüpfen ließ, habe ich das gedacht.

Aber Almodóvars aktueller Film „Leid und Herrlichkeit“ setzt allem die Krone auf. Kann man zarter und behutsamer von der ersten großen Liebe eines kleinen Jungen erzählen? Und kann man dringender und bewegender zeigen, wie die Erinnerung an diese Liebe einem Künstler in größter Krise dazu verhilft, sich aus den Tiefen von Drogen und Depression wieder ins Leben zurückzukämpfen? Nein, so gut wie hier hat P. A. das noch nie hingekriegt. Außer vielleicht . . . in seinem nächsten Film? Tim Schleider