Gartenzwerge sind typisch deutsch? Eine deutsch-chinesische Ausstellung erforscht die kulturelle Kraft von Alltagsgegenständen. Die unterhaltsame Sinnsuche soll auch in Deutschland gezeigt werden.

Peking - Tausend mal gerührt, tausend mal ist nichts passiert. Bei der tausend und ersten Begegnung ist alles anders: Auf einem weißen Podest, angestrahlt von Scheinwerfern und beschriftet wie eine Museumskostbarkeit, steht ein Paket Würfelzucker. Man erkennt sie sofort wieder, die blau-weiß-rote Packung der Kölner Marke Diamant mit ihren 350 Zuckerstücken. Seit Jahrzehnten ist sie eine Instanz auf deutschen Kaffeetafeln. Aber wann hat man sie zuletzt bewusst wahrgenommen?

 

Der Würfelzucker ist einer der Protagonisten einer faszinierenden deutsch-chinesischen Ausstellung in Peking. Die Schau trägt den programmatischen Namen „Invisible Things“. Sie macht sichtbar, welche Alltagsgegenstände unser Leben prägen – und macht daraus ein interkulturelles Entdeckungsspiel. Typisch deutsche Dinge werden original chinesischen Objekten gegenüber gestellt. Eine ungewöhnliche Begegnung, zumal in Peking, der Hauptstadt der Massenwarensupermacht China. Schließlich stehen die weltumspannenden Konsumnetzwerke der Globalisierung gemeinhin im Verdacht, regionale Besonderheiten unter einer Lawine von Einheitsprodukten zu begraben.

Gugelhupf-Form versus Thermoskanne

Doch die deutschen und chinesischen Ausstellungsmacher zeigen, dass solche Sorgen verfrüht sind. Die Globalisierung hat die Welt der Dinge zwar durchlässig gemacht. Aber sie ermöglicht es Alltagsgegenständen, zwischen Kulturen hin- und herzuwandern. So trifft in Peking das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel auf das chinesische Mah-Jongg. Gläserne Weihnachtskugeln begegnen elektrisch beleuchteten Feuerwerksattrappen. Was für die Deutschen der Gartenzwerg ist, ist für die Chinesen der goldene Küchengott. Wie den Deutschen ihre Gesundheitssandalen zur zweiten Natur geworden sind, tragen die Chinesen rote Unterwäsche, um damit böse Geister zu vertreiben. So wie jede deutsche Küche über eine Gugelhupf-Form verfügt, gibt es in jeder chinesischen eine große, rote Thermoskanne. Und wo in deutschen Schreibtischschubladen holzgriffige „Erledigt“-Stempel liegen, schlummern in chinesischen rote Stempel, die ihrem Besitzer Rang und Namen verleihen.

„Alltagsgegenstände formen unser ästhetisches Bewusstsein und bestimmen unser Lebensgefühl“, sagt René Spitz, einer der deutschen Kuratoren. „Sie zeigen uns, wie unser individueller Geschmack eingebettet ist in eine Kultur mit kollektiven Präferenzen.“ Entstanden ist das ungewöhnliche Projekt aus zwei parallelen Ausstellungen. Spitz und sein Geschäftspartner Martin Rendel, die gemeinsam eine Kölner Kommunikationsagentur betreiben, beschäftigen sich seit Jahren mit dem deutschen Alltagsleben.

Alle Dinge haben eine Heimat

Im Jahr 2008 konzipierten sie die Ausstellung „In deutschen Reihenhäusern“, die unter anderem in München, Köln und Hamburg zu sehen war. Um die gleiche Zeit kuratierte der Pekinger Kulturwissenschaftler und Kreativunternehmer Wu Xuefu eine Ausstellung mit dem Titel „Chinese Stuff“, die 118 typisch chinesische Gegenstände ausstellte. Seine Auswahl reichte von roten Laternen und geflochtenen Fächern über Geldscheine und Stempel bis zu Nachttöpfen und Rückenkratzern. „Alltagsgegenstände sind mächtige Sinnbilder, auch wenn uns das oft gar nicht auffällt“, erklärt Wu das Konzept, das 2009 beim chinesischen Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse erstmals zu sehen war.

Die Ausstellungen miteinander zu verbinden, war da nur konsequent. „Die Faszination für das Fremde schärft den Blick auf das Eigene“, sagt Spitz. Nach der Schau im Pekinger Today Art Museum ist nun auch eine Ausstellung in Deutschland in Vorbereitung. Mehrere Museen haben Interesse angemeldet. Schließlich geht die interkulturelle Versuchsanordnung zum Kern des Musealen: Sie zeigt, dass alle Dinge eine Heimat haben – aber auch ein Eigenleben.