Das Ausmaß der Vorwürfe macht betroffen. In Detailarbeit haben Ermittler in Pennsylvania jahrzehntelangen Missbrauch in der katholischen Kirche enthüllt. Systematisch seien die Taten vertuscht worden, berichten sie.

Harrisburg - Die Justiz in Pennsylvania hat erschütternde Dimensionen von jahrzehntelangem sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung in der katholischen Kirche offengelegt. Seit den 1940er Jahren hätten über 300 Geistliche mehr als 1000 Kinder missbraucht, hieß es in einem Bericht einer Grand Jury vom Dienstag (Ortszeit). Die „wahre Zahl“ der Opfer dürfte in den Tausenden liegen, da einige geheime Kirchenakten verloren gegangen seien und Betroffene sich aus Furcht nicht meldeten.

 

„Priester vergewaltigten kleine Jungen und Mädchen, und die Männer Gottes, die für sie verantwortlich waren, haben nicht nur nichts unternommen. Sie haben alles verheimlicht“, sagte der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro, in der Stadt Harrisburg. Der Vorwurf der Vertuschung richtet sich vor allem gegen Kardinal Donald Wuerl, derzeit Leiter der Erzdiözese Washington. Er wies die Anschuldigungen zurück.

Opfer in Pennsylvania hauptsächlich Jungen

Die Ermittlungen der Grand Jury in Pennsylvania waren im Vergleich zu jenen in anderen US-Staaten die bisher umfassendsten Untersuchungen zu sexuellem Missbrauch durch Geistliche. US-Bischöfe haben eingeräumt, dass landesweit mehr als 17 000 Menschen Übergriffe durch Priester oder andere Kirchenverantwortliche erleiden mussten.

Bei den Opfern in Pennsylvania handele es sich überwiegend um Jungen, doch seien auch Mädchen missbraucht worden, hieß es in dem Report. Die Taten umfassten Begrapschen, erzwungene Masturbation und Vergewaltigung. Ein neunjähriger Junge sei zur Beichte bei dem Priester gedrängt worden, der ihn sexuell missbrauchte. In einem anderen Fall sei ein Neunjähriger zum Oralsex gezwungen und ihm im Anschluss der Mund mit Weihwasser ausgewaschen worden. Ein Junge habe sich nackt in eine Art Kreuzigungspose begeben müssen und sei von einer Gruppe von Priestern fotografiert worden, sagte Shapiro. Diese Geistlichen hätten auf dem Kirchengelände kinderpornografisches Material produziert und geteilt.

Täter durften wieder in den Kirchendienst

Die Ermittlungen hätten „eine systematische Vertuschung durch die Kirchenoberen in Pennsylvania und im Vatikan“ belegt. Über die Rolle des Vatikans gab es im Report der Grand Jury schemenhafte Angaben - erwähnt werden darin aber eine Serie von vertraulichen Berichten über übergriffige Priester, die Bischöfe nach Rom gesandt haben sollen. Aus Sorge vor schlechter Presse und finanziellen Haftbarkeiten hätte die Führung die Geistlichen nicht der Polizei gemeldet. Stattdessen seien diese in „Behandlungseinrichtungen“ geschickt worden, wo sie „reingewaschen“ worden seien. Hunderte bekannte Täter hätten danach wieder den Kirchendienst aufnehmen können.

Das Schweigen über Missbrauch ging abseits der Kirchenmauern weiter. Es gebe Fälle, bei denen Polizisten oder Staatsanwälte zwar von Vorwürfen erfahren, jedoch aus Ehrfurcht vor Kirchenvertretern von Strafverfolgung abgesehen hätten, berichtete die Grand Jury.

Missbrauchsfälle gelten als verjährt

Kardinal Wuerl, langjähriger Bischof von Pittsburgh, erklärte schon vor der Veröffentlichung des Reports, er rechne damit, darin kritisiert zu werden. Er versicherte, er habe sich in seinen 18 Jahren als Bischof von Pittsburgh für den Schutz von Kindern eingesetzt. Seinem Vorgänger im Kirchenamt des Erzbischofs von Washington, Theodore McCarrick, wird vorgeworfen, Jungen und erwachsene Seminaristen missbraucht zu haben. Wuerl erklärte erst im vergangenen Monat, in Akten der Erzdiözese seien keine Beschwerden über McCarrick gefunden worden.

Fast sämtliche mutmaßliche Missbrauchsfälle in Pennsylvania gelten als verjährt, eine Anklageerhebung ist daher nicht möglich. Zudem sind mehr als 100 beschuldigte Priester bereits tot, viele weitere sind im Ruhestand, entlassen oder beurlaubt worden. „Es macht uns krank, dass all diese Verbrechen ungestraft bleiben werden und es keine Entschädigung geben wird“, schrieb die Grand Jury. Ein Strafverfahren gibt es bisher nur gegen zwei Verdächtige, darunter ein Priester, der sich schuldig bekannt hat. Die Ermittlungen gingen weiter, sagte Shapiro.