Nach der Kehrtwende bei der Neuregelung der Altersversorgung sehen sich die Landtagsfraktionen mit neuen Forderungen konfrontiert. Die Konzentration auf nur dieses Thema ist vielen zu wenig.

Stuttgart - Die Stimmen, die eine umfassendere Prüfung der jüngsten Landtagsbeschlüsse zu Altersvorsorge und Ausstattung der Abgeordneten verlangen, mehren sich. So pocht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) darauf, dass nicht nur die Neuregelung der Altersvorsorge, sondern auch die erhöhten Pauschalen der Abgeordneten auf den Prüfstand gehören. „Ziel muss eine ernsthafte Prüfung des gesamten Paketes und eine Korrektur der Altersversorgung sein“, sagte der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann am Mittwoch in Stuttgart. Auch der Sozialflügel der CDU dringt auf einen erweiterten Blick der geplanten Expertenkommission, die vornehmlich die Pensionsfrage beleuchten und etwa bis Jahresende Empfehlungen für eine Neuregelung erarbeiten soll.

 

CDA-Landeschef Christian Bäumler forderte, das Gesamtpaket auszusetzen. „Die Salamitaktik von Grünen, CDU und SPD geht an der Debatte über die Glaubwürdigkeit der Politik vorbei“, sagte er. „Das politische Taktieren muss ein Ende haben.“ Auch die Grüne Jugend will Aufklärung darüber, welche Berechnungen den erhöhten Mitarbeiterbudgets zugrunde liegen. Externer Sachverstand hätte schon von Anfang an einbezogen werden müssen, meinte Landeschefin Lena Schwelling.

Juristen der Fraktionen tüfteln an neuem Gesetz

Die Fraktionen von Grünen, CDU und SPD hatten am Vortag vereinbart, das Gesetz zur Altersversorgung auf Eis zu legen und eine externe Kommission einzusetzen. Vergangene Woche hatten sie beschlossen, dass die Parlamentarier zwischen einer privaten Altersvorsorge und einer lukrativeren Staatspension wählen können. Alle Parlamentarier, die zwischen 2006 und 2016 neu in den Landtag kamen, hätten diese Option erhalten. Die „Altfälle“ profitieren ohnehin von der Staatspension.

Die Vereinbarung der Fraktionen reicht jedoch nicht aus, um den umstrittenen Landtagsbeschluss auszusetzen. Dazu ist ein neues Gesetz nötig. Daran tüftelten jetzt die Juristen der Fraktionen, erläuterte ein Sprecher der Grünen-Fraktion. Als Möglichkeiten böten sich die Rückkehr zur bisherigen Regelung mit der privaten Vorsorge oder das Außer-Kraft-Setzen der neuen Regelung.

Vergangene Woche war aber auch entschieden worden, dass die Mitarbeiterpauschale auf 10 438 Euro fast verdoppelt und die steuerfreie Kostenpauschale um 40 Prozent auf 2160 Euro im Monat erhöht werden. Nach einer eigenen Aufstellung des Landtags kostet er jeden Einwohner 8,57 Euro im Jahr. Das ist nach Niedersachsen (6,89 Euro) und Nordrhein-Westfalen (7,08 Euro) der drittniedrigste Wert.

Nach Überzeugung des DGB dürfen in der Kommission nicht nur staatsnahe Experten sitzen. „Wir reklamieren auch eine Vertretung der Gewerkschaften in dieser Kommission“, betonte Kunzmann. Auch der Verein Mehr Demokratie bot seine Mitarbeit in dem Gremium an.

„Große Blamage für das Parlament“

Verdi-Landeschef Martin Gross bezweifelte die Darstellung der Fraktionen, der öffentliche Ärger sei nur dem schnellen Gesetzgebungsverfahren geschuldet. „Das Ergebnis ist und war das Problem, weniger das Verfahren.“ Aus Sicht der Gewerkschaft sind die Fraktionen eine plausible Erklärung für die neuen Gesetze schuldig geblieben. Unter Niedrigzinsen litten nicht nur Abgeordnete. Auch Gross mahnte an, kritische Stimmen in der Expertenkommission zu Wort kommen zu lassen. Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim sagte: „Es besteht die Gefahr, dass man Sachverständige beruft, die recht einseitig das Lied des Parlaments singen.“

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hatte nicht ausgeschlossen, dass die Sachverständigen sich auch mit der Ausstattung der Parlamentarier befassen. „Die [Kommission] guckt auch mal nach links, mal nach rechts.“ In seiner Fraktion waren Forderungen laut geworden, das Gesamtpaket infrage zu stellen. Das war aber bei der CDU nicht erwünscht. Grüne-Jugend-Chefin Schwelling meinte, eine ehrliche Bestandsanalyse müsse zu einer angemessenen Bezahlung der parlamentarischen Mitarbeiter führen.

Aus Sicht des Politologen Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung war die „Rolle rückwärts“ der Fraktionen ein kommunikatives Desaster und Wasser auf die Mühlen der AfD. Allerdings ist das Umschwenken ihm zufolge auch Zeichen der Korrekturfähigkeit des politischen Systems. Verfassungsrechtler von Arnim sprach von einer „großen Blamage für das Parlament“.