Um die Nachfolge des britischen Premierminister David Cameron zeichnet sich bei den regierenden Konservativen ein hartes Ringen ab. Überraschende Kandidaturen und erstaunliche Absagen kamen zustande. Eine Kandidatur wurde auf Twitter verkündet.

London - Justizminister Michael Gove stieg am Donnerstag überraschend gegen Innenministerin Theresa May in den Ring, während der mit der Brexit-Kampagne ins Rampenlicht gerückte ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson kurzfristig auf eine Kandidatur verzichtete.

 

Die Konservative Partei will Camerons Nachfolger bis zum 9. September benennen. Innenministerin May geht laut Umfragen als Favoritin ins Rennen. Die 59-Jährige kündigte ihre Kandidatur in der Nacht zum Donnerstag in der „Times“ an und versprach „starke und bewährte Führungskraft, um uns durch diese Periode der wirtschaftlichen und politischen Ungewissheit zu führen und die bestmöglichen Verhandlungsergebnisse für ein Ausscheiden aus der EU zu erzielen“.

EU-skeptische Haltung

May hatte sich in der Vergangenheit mit einer EU-skeptischen Haltung profiliert, vor dem Brexit-Referendum dann aber für einen Verbleib in der EU geworben. Sie sprach sich nun dafür aus, den Austrittsprozess ihres Landes bei der EU nicht vor Jahresende auszulösen. Als einer der führenden Köpfe der Brexit-Kampagne gab Justizminister Michael Gove am Donnerstag überraschend ebenfalls seine Kandidatur für die Cameron-Nachfolge bekannt. Gove stellte sich mit seiner Entscheidung gegen die zu diesem Zeitpunkt noch erwartete Kandidatur Johnsons. Er sei „widerstrebend zu dem Schluss gekommen“, dass der ehemalige Londoner Bürgermeister Johnson nicht in der Lage sei, die notwendige Führerschaft zu übernehmen oder ein geeignetes Team für die anstehenden Herausforderungen zu bilden, erklärte Gove.

Rolle des Verräters

Johnson quittierte dies später mit Auszügen aus Shakespeares Drama „Julius Cäsar“ - und wies Gove die Rolle des Verräters Brutus zu. Gove war, solange er noch mit Johnson in der Brexit-Kampagne zusammenwirkte, als ein künftiger Finanzminister unter einem Premierminister Johnson gehandelt worden. Er habe bislang stets gesagt, dass er nicht selbst Regierungschef werden wolle, erklärte der Justizminister nun. Seit dem mehrheitlichen Votum der Briten für den EU-Austritt vor einer Woche hätten „die Ereignisse“ aber schwer auf ihm „gelastet“. Johnson sagte bei der Bekanntgabe seines Verzichts auf eine Kandidatur, nach Beratungen mit Kollegen und angesichts der Verhältnisse im Parlament sei er zu dem Schluss gekommen, „dass ich nicht die Person sein kann“, die diese Aufgabe übernimmt.

Nach dem Brexit-Votum waren Johnson gute Chancen auf Camerons Nachfolge eingeräumt worden. Doch tauchte er tagelang ab und erklärte dann in einer Zeitungskolumne, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU „keine Eile“ habe. Neben May und Gove gibt es drei weitere Bewerber, deren Chancen auf einen Erfolg zunächst nicht sonderlich hoch veranschlagt wurden: Der 43-jährige Arbeits- und Rentenminister Stephen Crabb stammt aus Wales; der 54-jährige frühere Verteidigungsminister Liam Fox bemühte sich 2005 schon einmal vergeblich gegen Cameron um den Parteivorsitz; die 53-jährige Andrea Leadsom, Staatssekretärin für Energie, gab ihre Kandidatur über Twitter bekannt, verbunden mit dem Aufruf, „das Beste aus dem Brexit zu machen“.

Bewerberfeld auf zwei Kandidaten reduzieren

Das parteiinterne Wahlverfahren sieht vor, dass die Tory-Abgeordneten das Bewerberfeld auf zwei verbleibende Kandidaten reduzieren. Über diese sollen dann die rund 150.000 Parteimitglieder per Briefwahl abstimmen. Das breite Bewerberfeld bei den Konservativen verstärkt die Ungewissheit über die politische Zukunft des Landes. Cameron hatte nach dem Brexit-Votum seinen Rücktritt angekündigt. Er will es seinem Nachfolger überlassen, in Brüssel offiziell den Antrag Großbritanniens auf Austritt aus der EU zu stellen und die Verhandlungen darüber zu führen.