Personalmangel an Stuttgarter Schulen An den Schulen ist man erschöpft und verärgert

Wer die neuen Schüler aus der Ukraine unterrichten soll, ist noch nicht geklärt. Foto: dpa/Robert Michael

Den Vorstoß von Ministerpräsident Kretschmann und Kultusministerin Schopper zur Mehrarbeit der Lehrer werten Stuttgarter Schulleiter als Offenbarungseid. Bürokratie erschwere die Gewinnung zusätzlicher Lehrer.

An den Stuttgarter Schulen geht man nicht davon aus, dass der Appell von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper eine positive Wirkung entfalten wird. Darin hatten diese vor dem Hintergrund des bestehenden und zunehmenden Personalmangels durch die Ukraineflüchtlinge die Lehrkräfte aller Schularten aufgefordert, im kommenden Jahr doch bitte „eine, zwei oder gar drei zusätzliche Stunden“ zu unterrichten. Oder ihren Ruhestand „noch etwas hinauszuschieben“. Das wird in der Lehrerschaft als hilflos bis zynisch gewertet. Den Kollegien steckt zudem immer noch die Pandemie in den Knochen – und vielen Schülern auch.

 

Teilzeitlehrer „keine Drückeberger“

„Die Bereitschaft zum Aufstocken wird sich in Grenzen halten“, meint Manfred Birk, der geschäftsführende Leiter der Stuttgarter Gymnasien. Denn wer in Teilzeit arbeite, habe dafür gute Gründe, etwa um die Organisation des Familienlebens hinzubekommen. Das seien keine Drückeberger, so Birk. „Wenn es darum geht, Personal zu gewinnen, muss man neues Personal rekrutieren.“ Dass Vertragslehrer die Sommerferien nicht bezahlt bekämen, sei ein Unding. Unverständlich ist für den Rektor auch, dass viele Referendare keine Stelle bekämen.

Viele Pädagogen denken über geringere Arbeitszeit nach

Auch Gerhard Menrad, der geschäftsführende Leiter der Real-, Werkreal- und Gemeinschaftsschulen, hält den Aufruf kaum für geeignet, um die Personallücken zu schließen. Die Belastung der Kollegien sei jetzt schon hoch. Derzeit überlegten sich viele Kollegen eher, „ob sie reduzieren können, um es bis zur Rente zu schaffen“. Wenn man wolle, dass die Lehrer länger arbeiten, sollte man eher über eine stärkere Altersermäßigung nachdenken, so Menrad.

Pandemiegeschädigte Schüler als zusätzliche Bürde

Uwe Heilek, der geschäftsführende Leiter der Grundschulen, sieht den Appell „als Ausdruck dessen, dass es um die Unterrichtsversorgung im nächsten Schuljahr bitterernst bestellt ist“. Man stelle sich bereits auf harte Zeiten ein. „Wer von unseren Teilzeitkräften seinen Arbeitsumfang aufstocken konnte, hat dies bereits in diesem Schuljahr oder im Schuljahr davor getan – bei uns an der Schule sind die Spielräume ausgereizt.“ Seine Kollegen, so Heilek, „wissen, was es heißt, wenn Personal länger ausfällt oder ganz fehlt: Sie kennen die Auswirkungen aus persönlicher Erfahrung – wir arbeiten inzwischen mit der siebten Änderung des Stundenplans.“

Dass sich als Folge der Pandemie viele Kinder und Jugendliche immer noch schwertäten mit dem normalen Schulalltag, unruhig seien und sich kaum auf Unterricht mit der gesamten Klasse über einen längeren Zeitraum einlassen könnten, mache es für die Lehrkräfte nicht einfacher.

Lehrermangel sei „hausgemacht“

Michael Hirn, der geschäftsführende Leiter der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), erklärt: „Das Problem ist hausgemacht. Das Land schafft es nicht, junge Lehrerinnen und Lehrer auszubilden – deshalb ist die Unterrichtsversorgung so schlecht und wird von Jahr zu Jahr schlechter.“ Das spürten die Lehrkräfte nicht erst seit der Coronapandemie. Doch nun seien viele „wirklich erschöpft“. Sie dächten eher darüber nach, weniger zu arbeiten, um sich zu entlasten.

Wo bleibt konkrete Ermittlung des Personalbedarfs?

Felix Winkler, der geschäftsführende Leiter der gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen, hat das Schreiben von Kretschmann und Schopper gar nicht erst ans Kollegium weitergeleitet. Nach zwei Coronajahren sei dieses „sehr müde, zunehmend brechen uns Leute ganz weg“. Und Winkler sieht es auch nicht als zielführend an, pauschal die Lehrer um Aufstockung zu bitten. „Ich muss doch bedarfsgerecht ermitteln“, meint er. Und das große Thema seien ja nun die Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Unterbringung an den Schulen. Dafür brauche man Lehrkräfte, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten – „ich kann doch keinen Elektroingenieur einsetzen“.

Aber, so Winkler: „Bis heute hat nicht einer vom Kultusministerium bei mir nach dem Bedarf gefragt.“ Stattdessen solle er alle zwei Wochen melden, wie viele Schüler er an der Schule habe. Also habe er den Bedarf für die beruflichen Schulen in Stuttgart selber ermittelt, Szenarien dafür entwickelt, das weitere Vorgehen in der Schulleiterrunde abgestimmt und das Regierungspräsidium darüber in Kenntnis gesetzt.

Szenario für Vorbereitungsklassen entwickelt

Seit April hätten sieben berufliche Schulen insgesamt acht Vorbereitungsklassen für 15- bis 19-Jährige eingerichtet, aus Bordmitteln „herausgeschwitzt“ und selber organisiert, wie Winkler betont. Die seien mit 160 Schülern inzwischen voll. Die zu erwartende Nachfrage im neuen Schuljahr beziffert er auf 100 bis 500. „Ab September haben wir Kapazitäten von bis zu 260 Schülerinnen und Schülern an öffentlichen beruflichen Schulen.“ Macht 16 Lehrerdeputate. Fünf weitere Klassen seien möglich, auch an Schulen, die bislang keine Vorbereitungsklassen führen, aber dazu bereit seien. „Die müssen dafür aber erst mal einen Antrag stellen.“

Felix Winkler berichtet, er habe bereits drei Lehrer für die Ukraineklassen eingestellt. Ein Vertrag umfasse 30 Seiten, gehe von Mai bis Juli, zum neuen Schuljahr müsse jeder Vertrag wieder neu geschlossen werden, wieder 30 Seiten.

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