Jede zehnte Stelle im Stuttgarter Rathaus ist unbesetzt, die Belegschaft überaltert. Es fehlt an Büros und Auszubildenden. Die Auswirkungen auf die Bürger sind heftig.

Stuttgart - Der Schein trügt nicht, Stuttgart ist tatsächlich eine einzige Baustelle. Der Straßenverkehrsbehörde werden pro Jahr 16 000 Anträge von Firmen vorgelegt, die Straßen und Gehwege für sich reklamieren, um Schäden zu beheben, Kabel und Gleise zu verlegen oder um dort die Logistik für Baustellen unterzubringen. Genehmigen müssen das die Mitarbeiter des Sachgebiets 2 von Peter Koch.

 

Dem kleinen Team von 21 Mitarbeitern obliegt es, 16 000 Mal das Schlimmste zu verhindern – auf dem Gehweg im Stadtteil wie auf der S-21-Großbaustelle zwischen Hauptbahnhof und Wagenburgtunnel. Das Koch-Team prüft die von Verkehrsingenieursbüros im Auftrag der Baufirmen eingereichten Pläne, korrigiert diese, macht Auflagen und genehmigt dann alles. „Wir sind Dienstleister“, sagt Peter Koch. Sein Ziel ist nicht, Bauarbeiten zu verhindern, sondern diese mit möglichst wenig Nachteilen für Dritte zu arrangieren. Notfalls werden wie beim Rosensteintunnel teure Nachtarbeiten vorgeschrieben.

Baustellen können aus Personalmangel nicht kontrolliert werden

Papier ist geduldig. Baufirmen lassen nach Reparaturen von Gehwegen bisweilen ungesicherte Stolperfallen zurück, sie blockieren Fahrspuren und platzieren Verbotsschilder, wie es ihnen gefällt. Wer aber soll die Einhaltung der städtischen Vorgaben kontrollieren? Die Polizei bekommt die Pläne, hat aber auch keine Ressourcen. Die wichtigsten Kontrolleure sind die Bürger, die gelbe Verwarnungskarten ans Rathaus schicken sollen. Denn Kochs Truppe – neben ihm elf Sachbearbeiter und neun Ingenieure – kommt mit den Genehmigungen kaum nach. Vor Ort sind sie selten. Die Einarbeitung neuer Kollegen senkt die Arbeitsleistung, Zusatzaufgaben wie die Deutschland-Radtour, bei der halb Stuttgart abgesperrt wird, müssen ja auch noch erledigt werden. Zuletzt wurden drei erfahrene Kollegen von der privaten Konkurrenz abgeworben.

Mehr Geld, weniger Stress, ein ordentliches Büro, da wird nicht lange überlegt. Zwei Ingenieursstellen sind vakant, und niemand leitet die Dienststelle „Verkehrsregelung- und -management“ seit der Verabschiedung von Bernd Eichenauer. Eine erste Ausschreibung blieb erfolglos, was nicht verwundert bei einem Gehalt zwischen 4000 und 5000 Euro für diesen verantwortungsvollen Posten. Der Markt für Führungskräfte sei angespannt, betont Personalbürgermeister Fabian Mayer (CDU). Aber bis 2024 scheiden 206 Beschäftigte in verantwortlicher Position aus, das sind 21 Prozent. Die Stadtverwaltung blutet aber nicht nur an der Spitze aus: Bis 2035 steigt – bei rund 20 000 Beschäftigten – die Zahl der altersbedingt ausscheidenden Mitarbeiter von heute etwa 200 auf bis zu 450 pro Jahr. Bis 2024 sind es 1618. Hinzu kommen Kündigungen von Tarifbeschäftigten aus anderen Gründen. 2017 waren das 381. Der Altersdurchschnitt liegt derzeit bei 45,57 Jahren, ein Viertel ist laut dem Personalbericht 2017, der am Mittwoch diskutiert wird, älter als 55.

Vollbeschäftigung als Belastung

Fast jede zehnte Stelle ist bereits unbesetzt – und die Arbeitsagentur spreche von Vollbeschäftigung im Südwesten, betont eine Sprecherin der Stadt. Deshalb sind 100 von 950 Stellen allein in dem für die Ordnung in Stuttgart verantwortlichen Amt vakant. Betroffen sind aber auch die Branddirektion, das Schulverwaltungsamt, das Garten-, Friedhofs- und Forstamt sowie das Hochbauamt. Bestimmte Leistungen der Daseinsvorsorge können deshalb nicht mehr oder nur unzureichend erbracht werden. „Konkrete Personalgewinnungsprobleme“ gebe es auch im Jugendamt, wo sogar 200 Stellen von ungefähr 700 (ohne Kitas) unbesetzt sind. Der Personalratsvorsitzende Markus Freitag warnt mit Verweis auf den Staufener Missbrauchsfall, den erst Behördenversagen möglich gemacht habe, vor den Konsequenzen durch Arbeitsüberlastung. Er hat aber nach wie vor nicht den Eindruck, dass Gemeinderat und Rathausspitze das Problem erkannt hätten.

Im Haushalt 2018/2019 hat man zwar 736 Stellen geschaffen, jedoch die meisten wegen neuer Aufgaben wie dem Kita-Ausbau. Freitag ist unzufrieden, weil 170 Stellenforderungen der Amtsleiter unberücksichtigt blieben. Damit hätte man die Belastung senken und die Jobs attraktiver machen können. Den Nachholbedarf beziffert er auf 2500 Stellen. Der Personalratsvorsitzende moniert seit langem die Überforderung des Personals, das die Mitarbeiter einstellt. Die Verwaltung räumt eine „erhöhte Belastung“ der Personalwirtschaft ein. Sie führe deshalb „organisatorische Untersuchungen durch“. Die Stadt hält die Ausbildung für wichtig, ist aber wegen sinkender Bewerbungszahlen „aktuell nicht in vollem Umfang erfolgreich“. Ohnehin gibt es nicht genügend Platz für Azubis, die Stadt räumt ein, dass deren Räume bei Neuschaffung von Stellen durch reguläre Arbeitsplätze ersetzt werden. Auch bei Peter Koch in der Baustellenabteilung findet sich kein freier Schreibtisch für einen Lehrling.

Der Stadtverwaltung fehlt Büroraum

Der Platzmangel ist ein generelles Problem. Die Verkehrsabteilung mit 70 Leuten von Leiterin Susanne Scherz ist mittlerweile auf drei Stockwerke verteilt. Die Arbeitsbedingungen sind vor allem im Sommer schlecht. Räumlich Enge und mangelhafte Infrastruktur sind auch dem Personalrat ein Dorn im Auge. Es fehle an Büros, der Verkauf des Europahauses an einen Investor sei ein Sündenfall gewesen, moniert Freitag. Dass das Bürogebäude in der Schmale Straße ebenfalls veräußert werde, will die Stadt nicht bestätigen. Sie sagt, man suche Büros, es gebe aber „kaum geeignete Angebote zu vertretbaren Konditionen“.

Nachwuchsförderung, eine wertschätzende Unternehmenskultur, Firmenticket, Zusatzversorgung und vielfältige Arbeitsmöglichkeiten – vom Arzt im Gesundheitsamt bis zu Totengräberinnen – seien Gründe, sich bei der Stadt zu bewerben, sagt die Sprecherin und hebt die Sicherheit des Arbeitsplatzes und Teilzeitmodelle hervor. Bürgermeister Mayer will dem Personalmangel mit „neuen effizienten Instrumenten“ begegnen. Er denkt dabei mehr an die Digitalisierung als an Höhergruppierungen. Ein krisensicherer Arbeitsplatz und ein hohes Gehalt würden sich ausschließen, meint Finanzbürgermeister Föll.