Die Grünen stellen sich neu auf. Cem Özdemir tritt als Parteivorsitzender nicht mehr an. Was aus ihm wird, ist bei dem Erneuerungsprozess an der Partei- und Fraktionsspitze die Schlüsselfrage.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Bis die Grünen ihre Spitzenpositionen neu besetzen, gehen noch ein paar Wochen ins Land. Aber nachdem die Jamaika-Sondierung gescheitert ist, ist klar, dass das aus Oppositionszeiten gewohnte Quartett von Schlüsselpositionen an der Parteispitze und im Fraktionsvorsitz des Bundestags nicht durch einige Ministerämter zu ergänzen sein wird. Die für ehrgeizige Politiker wichtige Frage, was wird aus mir?, wird bei den Grünen also erneut unter den Bedingungen von oppositionsbedingter Posten-Knappheit entschieden werden müssen.

 

Umso bemerkenswerter ist, dass der Parteichef Cem Özdemir seine Ankündigung aus dem Frühsommer, bei der Wahl der Parteispitze nicht wieder antreten zu wollen, auch nach der Bundestagswahl und nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung aufrecht erhalten hat. Zuletzt hat Özdemir das Ende November, im Vorfeld des jüngsten Parteitags, noch einmal bekräftigt. „Ich werde nicht mehr für den Parteivorsitz der Grünen kandidieren. Das habe ich gesagt, und dabei bleibt es“, erklärte er in einem Interview der „Tageszeitung“.

Özdemir hat viele Ideen für seine Nachfolge

Özdemir nannte mögliche Kandidaten für die Nachfolge, allen voran den Kieler Vizeministerpräsidenten Robert Habeck; für denkbar hält er aber auch den bisherigen Bundesgeschäftsführer Michael Kellner oder den Europaabgeordneten Sven Giegold. Auch für den weiblichen Part an der Parteispitze war Özdemir um Vorschläge nicht verlegen. Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock und Katja Dörner, alle drei Mitglieder im grünen Jamaika-Sondierungsteam, kommen aus seiner Sicht in Frage. Seine Kovorsitzende Simone Peter, die ihren Hut wieder in den Ring werfen will, nannte Özdemir nicht.

Jetzt hat er noch einmal bekräftigt, dass es der „richtige Zeitpunkt“ sei, den Job als Parteichef an den Nagel zu hängen. Neun Jahre war Özdemir Vorsitzender der Grünen. Dass er sich länger als jeder Vorgänger oder jede Vorgängerin an der Spitze gehalten hat, will schon etwas heißen bei der Partei, die einst das Rotationsprinzip für Spitzenpolitiker erfunden hat. Aber den Rückzug aus der ersten Reihe hat Özdemir mit dem Verzicht auf den Parteivorsitz keineswegs angekündigt. Resignation treibt ihn nicht an, auch wenn er gerne regiert und ein Ministeramt bekleidet hätte. „Das Leben geht weiter. Mal schauen, was noch kommt. Ich bin noch nicht fertig“, hat er zuletzt mehrfach betont.

Dass er die Grünen mit einem pragmatischen Kurs durch die Sondierungen gesteuert hat, dass die Partei geschlossen und mit steigenden Umfragewerten aus den gescheiterten Gesprächen herausgekommen ist, macht Özdemirs aktuelle Stärke aus. Nicht nur der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist jüngst auf die Idee gekommen, Özdemir deswegen zum Fraktionschef zu küren und ihm damit die Schlüsselposition für diese Legislaturperiode anzuvertrauen. Kommt es zu einer großen Koalition oder einer von der SPD geduldeten Minderheitsregierung, werden sich die Grünen vor allem angesichts der AfD als größter Oppositionsfraktion im Kampf um Aufmerksamkeit noch schwerer tun.

Mit einer Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz wird nicht gerechnet

Für die Doppelspitze in der Bundestagsfraktion haben allerdings die Amtsinhaber, Toni Hofreiter und Özdemirs Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die Bereitschaft signalisiert, weiterzumachen. Wollte Özdemir an die Fraktionsspitze streben, müsste er nicht nur seine Tandempartnerin aus dem Wahlkampf aus dem Feld schlagen, sondern wegen der Frauenquote auch eine linke Flügelvertreterin finden, die gegen Hofreiter antritt. Derartige Ambitionen hat Özdemir bisher nicht erkennen lassen, er hält sein Blatt bedeckt. Mit einer Kampfkandidatur wird in der Fraktion derzeit nicht gerechnet. Aber das Thema schlägt Wellen. Am Mittwoch gab es eine Realoklausur, bei der es mindestens am Rande Gesprächsthema war. Es klingt nur an der Oberfläche bescheiden, was Özdemir zuletzt dem „Tagesspiegel“ sagte: „Wie ich Partei und Fraktion am besten helfen kann, das fortzuführen, was wir uns gerade in den letzten Monaten mit leidenschaftlicher Ernsthaftigkeit erarbeitet haben, das müssen andere entscheiden.“