Im wohl größten Betrugsskandal der Nachkriegszeit geht es längst nicht nur um den tiefen Fall des einstigen Börsenlieblings Wirecard. Auch die Wirtschaftsprüfer und ihre Aufsichtsbehörde stehen unter Druck - und mit ihnen jetzt auch der Wirtschaftsminister.

Berlin - Es ist schon nach Mitternacht, als im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags eine Aussage fällt, die alle wachrüttelt. Kurz vor der Pleite und noch während der Ermittlungen seiner Behörde im Wirecard-Skandal hat der Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas selbst mit Aktien des Skandalunternehmens gehandelt. Die Abgeordneten trauen ihren Ohren kaum, als er das im Bundestag einräumt. „Sieht irgendwie nach Insiderhandel aus“, kommentiert die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sofort. Am Morgen danach wächst der Druck auf den für die Apas zuständigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): Er müsse seinen Behördenleiter Ralf Bose entlassen, fordern Ausschussmitglieder verschiedener Fraktionen.

 

Altmaier will keinen Schnellschuss

Altmaier selbst zeigte sich „befremdet“ über die Aktienkäufe. „Wir werden mit den Beteiligten sprechen und wir werden sehr genau überprüfen, ob die geltenden Regelungen eingehalten worden sind und ob es geboten ist, daraus Konsequenzen zu ziehen“, kündigte der Minister an. Sorgfalt gehe aber vor „Schnellschüssen“.

Apas-Chef Bose sagte im Ausschuss aus, er habe die Wirecard-Aktien am 28. April 2020 gekauft und am 20. Mai wieder verkauft. Am Tag des Kaufs war der Börsenkurs des Fin-Tech-Konzerns abgestürzt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hatte in einem Sonderbericht aufgedeckt, dass es keine Nachweise zur Existenz von angeblichen Kundenbeziehungen und daraus erzielten Umsätzen des aufstrebenden Tech-Konzerns gab. Er habe trotzdem an das Geschäftsmodell des aufstrebenden Fin-Techs geglaubt, sagte der Behördenleiter nach Angaben von Ausschussmitgliedern. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine Behörde bereits Vorermittlungen gegen die Wirecard-Wirtschaftsprüfer von EY eingeleitet.

Grüner-Politiker stellt Verdachtsanzeige

Als der Behördenleiter seine Aktien am 20. Mai mit Verlusten wieder verkaufte, lief ein förmliches Berufsaufsichtsverfahren seiner Behörde gegen die Wirtschaftsprüfer. Ob der Verkauf mit diesem Verfahren zusammenhing, blieb zunächst offen. Der Finanzpolitiker der Linken, Fabio De Masi, wies auf ein Telefonat der Apas-Leitung mit der staatlichen Aufsichtsbehörde Bafin im Zusammenhang mit Wirecard am gleichen Tag hin.

Der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz hat inzwischen bei der staatlichen Aufsichtsbehörde Bafin eine Verdachtsanzeige gegen Bose eingereicht. „Nach meinem Verständnis legen die Aussagen von Ralf Bose, dem Leiter der Apas, im gestrigen Untersuchungsausschuss den Verdacht von Insiderhandel nahe“, erklärte er. Allein, dass der Behördenchef von geheimen Anhängen des KPMG-Berichts und dem angesetzten Telefonat wusste, lege diesen Verdacht nahe. Wenn er sich bestätige, müsse die Bafin unverzüglich Strafanzeige gegen Bose stellen.

Untersuchungsausschuss fordert Entlassung

Abgeordnete mehrerer Fraktionen forderten Altmaier auf, den Behördenchef zu entlassen. „Aus meiner Sicht kann er nicht im Amt bleiben“, kommentierte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Bayaz erklärte: „Ohne einen Neuanfang an der Spitze der APAS wird es kaum möglich sein, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“ Auch De Masi forderte die Entlassung des Behördenchefs.

Zugleich müsse es klarere Regeln gegen Insiderhandel in Aufsichtsbehörden und den Ministerien selbst geben, kritisierten die Abgeordneten. Die Bundesregierung habe bereits im November mitgeteilt, dass sie keine Kenntnisse über Aktienhandel bei der Apas und bei weiteren Aufsichtsbehörden habe, da dort keine Meldepflichten existierten.

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Der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach forderte, den Vorgang umgehend zu untersuchen und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. „Es kann nicht angehen, dass der Präsident der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas mit Aktien eines Unternehmens handelt, das mittelbar Gegenstand einer Überprüfung ist“, sagte der stellvertretende Ausschuss-Vorsitzende dem „Handelsblatt“. Es müsse auch aufgeklärt werden, was genau bei dem Telefonat zwischen Apas und Bafin besprochen wurde.

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Zu lange untätig gewesen

Die Apas steht im Fall Wirecard in der Kritik, weil sie erst im Sommer 2020 ein förmliches Verfahren gegen EY einleitete, obwohl sich die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard bereits Monate zuvor verhärtet hatten. Ein Unterabteilungsleiter rechtfertigte das im Ausschuss: Nach einem Telefonat mit den Wirtschaftsprüfern habe man den Eindruck gehabt, die Sache werde angegangen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Prüfer ihre Berufspflicht verletzten, habe es damals nicht gegeben. Ausschussmitglieder dagegen haben den Eindruck, dass sich EY mit dem Anruf bei der Aufsichtsbehörde habe absichern wollen. „Die Apas scheint eine Zuschauerbehörde zu sein“, kritisierte Kiziltepe.

EY segnete jahrelang die Bilanzen des inzwischen insolventen früheren Dax-Konzerns Wirecard ab - und ist mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht genau genug hingeschaut zu haben. Denn Wirecard soll seit 2015 Scheingewinne ausgewiesen haben, im Sommer räumte der Konzern Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro ein.