Die Skandalnudel Peter Doherty hat sich am Montagabend in Frankfurt am Auftakt einer Deutschlandtournee versucht. Irgendwie hat es sogar geklappt.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Frankfurt - Noch nicht einmal 21 Uhr ist es am Montagabend in der Frankfurter Batschkapp. Das Vorprogramm ist gelaufen, drinnen stimmen die Roadies die Instrumente für den Hauptact des Abends, dessen Beginn mit 20 Uhr angegeben worden ist. So gegen viertel vor zehn kommt der Gitarrist aus Peter Dohertys Entourage auf die Bühne, bespaßt ein wenig das Publikum und verschwindet nach zehn Minuten kommentarlos wieder von der Bühne.

 

Die Gitarrentechniker greifen wieder ein, stimmen die Saiteninstrumente abermals. Mit bewundernswertem Langmut betrachtet das Publikum hernach eine leere Konzertbühne, auf der alle zwanzig Minuten die Techniker die Gitarren stimmen. Gegen viertel vor elf reißen die ersten Geduldsfaden. Die ersten Bierbecher segeln auf die Bühne, das Crescendo der Pfeifkonzerte in den Pausen der Pausenmusik nimmt Fahrt auf, kurz vor 23 Uhr werfen dann die ersten Besucher die Flinte ins Korn und gehen desillusioniert nach Hause. Die Techniker stimmen derweil mal wieder die Instrumente, selbst hartleibige Verehrer des Schaffens des britischen Songwriters freunden sich allmählich mit dem Gedanken an den Heimweg an.

Bald halb zwölf ist es schließlich, als völlig unvermittelt Peter Doherty und seine fünfköpfige Band buchstäblich auf die Bühne gestürmt kommen. Der gute Mann greift sich eine der nunmehr bestgestimmten Gitarren der Welt, erträgt mannhaft den auf ihn niederprasselnden Bierbecherregen aus dem Publikum und stimmt, Spaß muss sein, als erstes „Fuck Forever“ an, das Lied mit dem saublöden Titel, das er jahrelang grundsätzlich immer als letztes Lied seiner Konzerte gespielt hat, so sie denn stattgefunden haben.

Und schon sind wir mittendrin in einer Situation, bei der man nicht weiß, ob man nun lachen oder weinen soll. Der chaotische Mister Doherty (der jetzt gerne seriös sein und nicht mehr Pete, sondern Peter genannt werden möchte) ist und bleibt ein anarchischer Punk. Ihm ist das Publikum und dessen Erwartungshaltung ganz offensichtlich völlig egal. Ihn juckt es nicht, dass sich die Menschen dreieinhalb Stunden lang – vor Beginn, wohlgemerkt – die Beine in den Bauch stehen oder – noch schlimmer – knapp fünfzig Euro Eintritt bezahlt haben, um frustriert und ohne ein Konzerterlebnis nach Hause zu gehen. Es ist zumindest beschämende Gleichgültigkeit, wenn nicht bittere Verachtung für das Publikum, die aus diesem Künstler spricht.

Umgekehrt möchte man ihn am liebsten in den Arm oder an die Hand nehmen, diesen zerbrechlichen Mann, dem all diese Dilemmata vermutlich gar nicht bewusst sind, weil seine Gedanken in völlig jenseitigen Sphären kreisen. Und der es womöglich gar nicht befremdlich findet, dass ein Musiker zur Begrüßung nicht etwa mit freundlichem Applaus empfangen, sondern mit Bier beschmissen wird. Doherty irrlichtert über die Bühne, er sinkt auf ihr schon beim ersten Lied zusammen, er tänzelt auf ihr herum, im feinen dunklen Anzug, den er mit Hosenträgern und einem gestreiften Polohemd vom Grabbeltisch kombiniert. Man mag über seinen physischen und psychischen Zustand eigentlich gar nicht spekulieren, weil er bei alledem so feinnervig und so exquisit Gitarre spielt, dass man vor ihm, dem wahrscheinlich großartigsten britischen Songwriter dieser Tage, einfach nur niederknien möchte. Und auf all die auferlegte Mühsal pfeifen mag, wenn man ihn dieses tolle Best-of aus seinem Schaffen als Solokünstler, mit seiner Band Babyshambles und als Teil der Band Libertines spielen hört. Aber so recht gelingt das zu diesem Zeitpunkt leider niemandem mehr.

Die Libertines-Nummer „You’re My Waterloo“ spielen er und seine fünfköpfige Band – mit Geigerin und E-Pianistin – zum Ende hin, nachdem Doherty zwischenzeitlich einen Mikrofonständer zerlegt und ebenfalls mit Bierbecherschmeißen begonnen hat: Sinnbildlicher könnte ein Songtitel nicht für diesen Abend stehen, sowohl was ihn als auch sein zu diesem Zeitpunkt verbliebenes Restpublikum betrifft. Als Allerletztes kommt das einzige Stück des Abends, das nicht seiner Feder entstammt: „Ride Into The Sun“ von Velvet Underground. Auch das passt. Man wünscht dem Strubbelkopf, der wundersamerweise schon 37 Lebensjahre aufzuweisen hat, alles erdenklich Beste – und dass er möglichst bald in lichtere Gefilde segeln möge.

Tournee
Weitere Konzerte in Köln (22.), Hamburg (24.) und Berlin (25. Februar) sind zumindest geplant.