StZ-Kolumnist Peter Glaser blickt zurück in eine zukunftsbegeisterte Zeit, in der Strahlenpistolen noch aus Draht gebaut wurden.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

1969 hieß die Zukunft: uneingeschränkt fernsehen dürfen. Ich war zwölf. Zu Hause im Keller erzeugte ich in meinem chemischen Laboratorium Bakelit, künstliches Bananenaroma und Raketentreibstoff. In den sechziger Jahren war der Himmel ein technisches Problem. 1957, in meinem Geburtsjahr, hatten die Russen den ersten künstlichen Himmelskörper in eine Erdumlaufbahn ausgesetzt, Sputnik I. Als kleiner Junge fühlte man sich damals ganz selbstverständlich aufgerufen, an der Eroberung des Raums teilzuhaben.

Während mit Griffen in den antiken Götterhimmel das amerikanische Raumfahrtprogramm das der Sowjets zu überflügeln begann – Merkur, Gemini, Apollo –, war 1967 im Fernsehen Commander Cliff McLaine mit dem schnellen Raumkreuzer Orion VII zur ersten Raumpatrouille gestartet. Wir Jungs bauten aus Draht und Isolierband die Strahlenwaffen der Orion-Crew nach. Die Raumpatrouille war der Vorstoß in eine Wandlungsform des Jenseitigen: das Hauptabendprogramm des Fernsehens. Wenn die Raumpatrouille flog oder ein Raketenstart von Cape Kennedy anlag, galt eine Ausnahmeregelung entgegen der sonst strikt dosierten Fernsehverfügbarkeit. Die Raumfahrt war die Einflugschneise ins Erwachsenwerden: Fernsehen nicht mehr nur bis zum Sandmännchen, sondern immer.

Im Garten versuchte ich, einen Rundkolben aus Jenaer Glas, gefüllt mit einer Schwarzpulvermischung, aus einem gußeisernen Christbaumfuß als Startrampe in eine Erdumlaufbahn zu schießen. Triebwerksmängel und ein Schutzengel führten dazu, dass der Treibsatz nur ein gewaltiges Loch in den Rasen brannte und nicht als wildgewordene Panzerfaust in eines der Nachbarhäuser krachte. Ich beobachtete, wie in den umliegenden Gärten die zum Trocknen aufgehängte Wäsche, von den beissenden Schwefeldioxidschwaden aus meiner Rakete imprägniert, dem Fortschritt zum Opfer fiel.

Raumpatrouille Orion, Vietnamkrieg, Mondlandung - alles im Fernsehen

Das Fernsehen strahlte die Raumpatrouille am späteren Abend aus. Meine Eltern waren der Meinung, ich dürfe zu dieser Zeit nicht mehr fernsehen. Ich trat mir absichtlich einen Glassplitter in den Fuß, um ihn mir tapfer von meiner Mutter herausziehen zu lassen und zur Belohnung Fernsehgenehmigung zu erhalten. Über den Fernseher wachten meine Eltern wie über einen Tresor. Erst Wochen nach der Anschaffung des Geräts erlaubte mein Vater mir zum ersten Mal, den Knopf zur Programmumschaltung zu drücken. Das bestärkte mich in dem Gefühl, den Zugang zu einer geheimnisvollen, aufregenden Welt vor mir zu haben.

Die Raumpatrouille war jedes Blutopfer wert. Wenn Dietmar Schönherr vulgo Commander McLaine aus der Unterseebar, in der Damen mit zukunftshaft gelöcherter Kleidung tanzten, zu einem Alarm-Einsatz gerufen wurde und aus den Fluten eines trickvergrößerten Abflußstrudels der prachtvolle Patrouillenraumer in die Weiten des Alls aufstieg, leuchtete meine Begeisterung hundertmal heller als die Fernsehlampe auf dem Wohnzimmerschrank, eine venezianische Gondel aus Plastik. Seither durfte ich später fernsehen und sah dann auch einen Bericht aus Vietnam, der einen schreienden, schwer verwundeter GI zeigte, den ein Kamerad wie ein Baby im Arm hielt und streichelte.

Die erste Mondlandung habe ich in einem Landgasthaus in den Alpen gesehen. In dieser langen Nacht trank ich vor Aufregung zwei Liter Cola mit der Folge, dass ich Colageschmack bis heute nicht mehr vertrage. Alle nachfolgenden Mondlandemissionen, mit denen dann die siebziger Jahre begannen, waren unbedeutend, langweilig und grau wie der Mond. Der eine, entscheidende Moment war schon verglüht. Oder erinnert sich noch jemand an die zweite Mondlandung im November 1969? Oder an die letzte?

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Und hier wie immer der Tweet der Woche: