Bildschirme statt Standfotos: Das Plakat beginnt zu beschleunigen – und damit zu verschwinden.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche! 

 

Das Plakat beginnt zu beschleunigen – und damit zu verschwinden. Immer öfter sieht man Hybridformen. Plakate am Band. In bereits bildschirmähnlichen, flachen Glaskästen am Straßenrand werden verschiedene Plakatmotive über Umlenkrollen im Wechsel an uns vorbeigeführt. Nur noch kurz hält das Bild an, schon entrollt sich das nächste Motiv. Andere Systeme arbeiten mit lamellenschmalen Bildstreifen, die kippen und ein jeweils neues Plakat ergeben. Und je mehr es sich bewegt, desto weniger Plakat ist es noch.

In Bahnhofshallen, Stadien und Auto-Showrooms ist der nächste Schritt bereits vollzogen. Riesige Flachbildschirme ersetzen das Plakat. Die hypnotische Besänftigung des Fernsehens strahlt von hier, leicht wie Blütenstaub in die Großräume der modernen Welt. Noch werden die Plakate immer größer, inzwischen überziehen sie gelegentlich ganze Hochhäuser. Aber das, womit sie eigentlich werben, ihre unbewegte Botschaft, wird zur Nostalgie.

Eine Plakatreihe ist ein stehender Film, an dem wir als eine Art umgekehrter Projektor vorbeieilen. Sich ganz nahe vor einem Plakat aufzuhalten, am Gehsteig vor einer Plakatwand, vor einer Litfaßsäule, in einem plakatbestückten Buswartehäuschen, verschaffte einem Einblicke in die Physik der Verführung. Das hochvergrößerte Bild erwies sich bei näherem Hinsehen als ein Gewirr von Farbquanten, die Rasterpunkte des Vierfarbdrucks.

Im elektronischen Bilderstrom reduziert sich der Wechsel zwischen zwei Szenen auf einen Schnitt, während der Übergang zu einem neuen Motiv beim Papierplakat ein eigener, bemerkenswerter Vorgang war, wenn nämlich zwei Männer, eine Leiter, ein Eimer mit Leim und eine Tapetenbürste zum Einsatz kamen. Wobei nicht einfach ein neues Bild über das alte geklebt wurde, sondern erst einmal eine Lage weißes Papier über das alte Motiv kam, damit keine Kontur aus dem Untergrund in eine Fläche des neuen Plakatmotivs durchscheinen konnte.

Diese bedächtige Transformation von der einen papierenen Bildfläche nach der anderen hin werden wir vermissen. Den kurzen Moment vor allem, in dem die ganze Plakatwand einfach weiß war und die Männer mit dem Leimkübel die nächsten Blätter erst einmal vor ihrem Körper hielten, wie Kleidungsstücke, die man vor dem Spiegel anprobiert. Manchmal, wenn eine Plakatwand gerade nicht vermietet war, hielt sich das Weiss ein paar Tage lang und war eine schöne Leere in unserer bilderbedrängten Gegenwart.

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Und hier noch - der Tweet der Woche: