Je mehr wir über unser Erbgut herausfinden, desto irrelevanter scheint es zu sein – unbedeutender als die Postleitzahl!

 

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Das als eine Art molekularbiologische Mondlandung propagierte Human Genome Project, in dem von 1990 an das gesamte menschliche Genom entziffert werden sollte - die Gesamtheit der Erbinformationen, ist seit 2004 abgeschlossen. Fertig. Erledigt. Der britische Genetiker Steve Jones hält das Ganze größtenteils für Zeitverschwendung. „Was wir brauchen“, sagt Jones, „ist ein Human Social Project.“

„Das ist das Gen für dies“ und „Das ist das Gen für jenes“, sei die sinnloseste und gefährlichste Phrase, die uns die Genetik beschert habe. Die Menschen hätten erwartet, dass beispielsweise die Gene für Krebs oder Herzerkrankungen gefunden würden und es bleibe nun das große Geheimnis der Medizin, weshalb das nicht geschehen sei.

Sie wurden nicht gefunden, weil sie nicht da sind.

Viele Leute denken, dass man aus der DNS lesen kann wie ein Wahrsager aus Handlinien liest. Dass man das Erbgut „entschlüsselt“ und dann beispielsweise prognostizieren kann, wie lange man leben wird.

Das können wir aber schon, wenn wir ein paar andere Fragen beantworden: Wie alt sind Sie? Sind Sie männlich oder weiblich? Rauchen Sie? Haben Sie haben Erbkrankheiten in der Familie? Sind Sie übergewichtig?

Die wichtigste Frage aber ist: Wie ist Ihre Postleitzahl? In England liegt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den reichsten und den ärmsten Postleitzahlenbereichen etwa in einer Stadt wie Glasgow bei erstaunlichen 28 Jahren. Und Postleitzahlen und haben nichts mit den Genen zu tun.

Das Human Genome Project hat bewirkt, dass sich die Genetik als Wissenschaft verändert hat, vor allem aber, dass wir eine neue, umfassendere Vorstellung davon entwickeln können, wie wir die Gesellschaft verändern können (und nicht die Biologie). Die Lebenserwartung nimmt seit 1900 um 6 Stunden pro Tag zu, und zwar aufgrung von Veränderungen der menschlichen Lebensbedingungen und der Umwelt (Hier eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts für Deutschland). Nichts davon ist auf Veränderungen in den Genen zurückzuführen.

Für viele Biologen sind die Erkenntnisse der Genetik inzwischen der Heilige Gral. Aber natürlich war die Suche nach angeborener Makellosigkeit oder Unvollkommenheit immer schon der Heilige Gral. Sie scheint tief in unserem Denken verwurzelt zu sein, und die Erkundung der DNS ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg. Die Forschung hat bisher keine Antworten geliefert, aber immerhin eine wichtige Frage: Was tun wir mit ererbter Unvollkommenheit? Die Antwort ist, „dass wir uns nicht ändern wie wir sind“, sagt Professor Jones, „sondern dass wir ändern, wie wir leben.“

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: