Das Netz ist einen gigantische Ent-Ordnungsmaschine. Wie aber sehen die neuen Ordnungen aus? Und was tun gegen zu viel gutes Material?

 

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Das Internet macht uns wirr und glücklich. Das heißt, es löst die alten Ordnungen auf und stiftet aber erstmal keine neuen. Diesen Übergangszustand empfinden wir als Wirrnis. Es ist zugleich (um mal zu zeigen, was man alles machen kann, wenn man nur einen einzigen Buchstaben wegnimmt) eine Wirnis. Ein Ort, an dem es immer schwerer fällt, allein zu sein. Ständig ist man in irgendein Wir involviert, auf Facebook, auf Twitter, sonstwo. Man wünscht sich manchmal förmlich die Vereinsamung, die vor noch nicht allzu langer Zeit als die große Internet-Gefahr an die Wand gemalt wurde, angesichts dieser beständigen Gemeinschaftlichkeit im Netz, die man nun kaum noch loswird.

Was früher die Wohngemeinschaft war, Nestwärme auf dem Weg ins Erwachsenenleben, ist heute das Smartphone in der Jackentasche, das iPad – irgendein leichtes Ding, das überall mit dabei ist. Es enthält die ultimative Großwohngemeinschaft. Alle Freunde sind jetzt immer mit dabei. Man merkt das daran, dass auf Facebook niemand mehr grüßt und Guten Tag oder Auf Wiedersehen sagt. Es gibt nur noch die weich über den Bildschirm fließende Gegenwart. Wir sind Gefangene dieser Gegenwart, und das Schlimme ist: Es ist nicht schlimm. Es ist ein Luxusgefängnis, in dem es uns ein bisschen geht wie mexikanischen Drogenbaronen. Wir können alles haben, was es auch draußen gibt. Aber wir können nicht raus.

Wie kommt man hier wieder raus?

Diese neue Wohngemeinschaft geht immer mit uns mit, wo wir auch hingehen. Was dadurch für junge Menschen zunehmend schwieriger wird, ist, erwachsen zu werden. Für sich zu sein und Entscheidungen zu treffen. Kids, die ganzen Online-Gadgets sitzen auf euch wie riesige Glucken! Ich aber bin ein alter Hase und kenne ein paar Tricks. Ich weiß, wie man wieder aus dem Internet rauskommt. Es ist wie mit den geheimen Abkürzungen bei Ikea, wenn man nicht erst durch die gesamte Ausstellungsfläche durchwandern will.

Das Durcheinander hat längst aus dem Internet auf die richtige, echte Welt hier heraußen übergegriffen. Sogar an der Katze merkt man es. Seit sich Abermillionen Katzenanbeter und Katzenfilmproduzenten im Netz dartun, gibt es die Katze gar nicht mehr, so eingebildet ist sie inzwischen.

Das Internet sorgt nicht für Ordnung, es ist eine unglaubliche Entordnungsmaschine. Millliarden Fotos werden auf Flickr & Co ausgebreitet und keiner kümmert sich mehr um einen Index. Jeder schreibt die Schlagworte – die Tags – dazu, die ihm gerade einfallen. Ordnung gibt es immer nur noch ein paar Sekunden lang, etwa wenn Google wieder eine Ergbnisliste zu einer Frage ausgeworfen hat. Das ist die neue Weltordnung.

Ohnehin ist das Problem nicht, dass man im Internet zu wenig findet. Das Problem ist auch nicht, dass es im Internet zu viel Müll gibt, wie Kulturpessimisten immer gern behaupten. Das Problem ist, dass es im Internet viel zu viel gutes Material gibt und zu wenig Zeit da ist. Die Zeit ist der Engpaß. Manchmal ist es geradezu zum Verzweifeln, dass nicht zugleich mit diesem immensen Geschenk an Kultur und Unterhaltung – auch das, wofür man bezahlt, ist durch den nun unglaublich einfachen Zugang ein Geschenk im übertragenen Sinn – zugleich auch die menschliche Lebenszeit auf 500 Jahre erweitert werden kann, um all die großartigen Bücher in Ruhe zu Ende lesen zu können. Wo sind die Biotechniker, wenn man sie mal wirklich braucht? 

Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: