Freunde, die man nicht kennt, "Likes" aus Hilflosigkeit: Haben die Sozialen Medien wirklich Zukunft? Der StZ-Kolumnist Peter Glaser macht sich Gedanken über die maschinell zustandegekommenen Kontakte.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

In der Internet-Euphorie der Neunzigerjahre gab es, was die richtige Richtung anging, ein dogmatisches Kürzel: GBF. Get Big Fast. Als erster so schnell wie möglich so groß wie möglich werden, egal wie weit entfernt von irgend einer Art von Wirtschaftlichkeit die Geschäftsidee auch sein mochte. Sinn wurde durch Geschwindigkeit ersetzt. Im März 2000 brachen die Kurse der Technologiewerte ein und in den folgenden zwölf Monaten lösten sich 3.500 Milliarden Dollar an Buchwerten in Nichts auf.

Heute taucht das Prinzip in einer Variation wieder auf: GBAF – Get Big Attention Fast. Aufmerksamkeit oder Tod. Wobei Tod im modernen Leben bedeutet: Du bist nicht im Netz sichtbar, also gibt es dich nicht. Visibility ist eine Frage des Überlebens. Und die schönste Form der Sichtbarkeit ist, nicht einfach nur gesehen, sondern gemocht zu werden. Likes müssen her! Man muß sehen, dass die Menschen einen mögen. Sie müssen einem folgen. Und am Allerschönsten ist es, wenn das alles sich mit scheinbar konkreten Zahlen belegen läßt. Willkommen im Wunderland der Sozialen Medien.

Es ist eine Welt, in der man Freunde hat, die man gar nicht kennt. Für Facebook gibt es überhaupt nur Freunde, und es gibt nur „gefällt mir“, den allgemeingültigsten Ausdruck der Freude am Leben. Manche klicken aus Hilflosigkeit, weil nichts anderes da ist, das man anklicken könnte, sogar auf „gefällt mir“, wenn jemand gestorben ist. Marktforscher allerdings sagen, Firmen würden mit Facebook und Twitter ihre Zeit und ihr Geld verschwenden, man habe nicht wirklich eine soziale Beziehung mit den Kunden.

Soziale Beziehungen lassen sich nicht auf nicht soziale Weise pflegen

Die maschinell zustandegekommenen Kontakte sind keine „sozialen Beziehungen“. Wobei die Schwierigkeiten für Unternehmen mit abertausenden vermeintlichen „Fans“ bemerkenswerter Weise bedeutend größer sind als für Individuen. Soziale Beziehungen lassen sich nicht auf nicht soziale Weise pflegen. Um eines führt kein Weg herum: Wenn es wirklich social sein soll, muß man sich um die Menschen wohl oder übel persönlich kümmern. Die Möglichkeit, individuell Kontakt aufzunehmen, ist ja gerade der Witz an Social Media. Man muß sich nicht um alle kümmern, aber die, um die man sich kümmert, wollen individuell angesprochen werden und eine Antwort bekommen. Eine ganze Generation versucht gerade zu lernen, wie man im Netz miteinander umgeht.

Und hier haben die Kleinen einen Vorteil gegenüber den Großen. Die serielle Abfertigung mit Botschaften nennt man nach wie vor Werbung, daran ändert auch ein verheißungsvoller Begriff wie Social Media nichts. Dem Einzelkämpfer dagegen bleibt gar nichts anderes übrig, als das zu tun, was die Großen so viel Mühe zu kosten scheint: sozialen Umgang zu treiben. Kommentare und Fragen höchstpersönlich zu beantworten. Und seine Mitteilungen von Hand zu Wasser zu lassen in den großen Stream, der durch die neuen Länder der Welt fließt, die Facebook, Twitter und Co. heißen.

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: