Die Verhältnisse ändern sich: Nicht dass Computer sonderlich intelligent wären. Aber sie fordern uns immer subtiler heraus, uns zu ihnen zu verhalten. Was spricht dagegen, sich mit einer Maschine anzufreunden?

 

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Unsere Vorfahren haben jahrtausendelang versucht, das ungestüme Wuchern der Welt zu bezähmen. Sie haben Lichtungen in den Dschungel gerodet, wilde Tiere vertrieben und die Natur zu Parklandschaften bezähmt, später zu Zweckflächen zur Fortbewegung und zu metropolem Felsenwerk. Inmitten unserer schmutzigen, kristallinen Zivilisationsordnung wuchert es unverdrossen weiter: Nunmehr ist es ein Dschungel aus Zeichen, ein Unterholz aus chiffrierten Situationen und symbolischen Fallen. Im gleichermaßen üppigen wie gefährlichen Regenwald der Bedeutungen zu bestehen, erfordert Instinktsicherheit.

Vor vielen Jahren habe ich mal in Wien vor der UNO-City eine Rede an die Menschheit gehalten – in einem Park davor, vor drei Kindern mit BMX-Rädern, vom Äquator eines begehbaren Globus herab. Ich hatte mir ernsthaft überlegt, was ich sagen würde, wenn ich Gelegenheit hätte, eine halbe Minute vor ein paar Milliarden Menschen zu sprechen („Möchten Sie nicht vielleicht zur Eröffnung der Olympiade ein paar Worte an die Leute da draußen an den Fernsehschirmen richten?“). Jeder sollte sich einmal eine solche Rede überlegen. Inspiriert hatte mich eine - für diesen Dichter ungewöhnlich ironische - Eintragung in einem Tagebuch von Peter Handke: „Abends im Bett eine Rede an die Menschheit gehalten.“

Wenn die Maschinen uns herausfordern, müssen wir höflich bleiben

Ein Satz in meiner Rede lautete: Seid freundlich zu den Maschinen. Nun, da die Maschinen immer verhaltensähnlicher agieren, wird es Zeit, dass wir uns darüber klar werden, dass und wie wir uns ihnen gegenüber differenziert, jedenfalls aber mit einem gewissen Respekt verhalten. Wenn die Maschinen uns in unserem menschlichen Verhalten herausfordern, müssen wir unbedingt höflich bleiben. Andernfalls könnte etwas robotisch Böses auf unsere Mentalität abfärben.

Manche Maschinennutzer, ob Autofahrer, Fernsehzuschauer oder Netztaucher, haben bereits Formen einer speziellen Unduldsamkeit verinnerlicht, die aus dem verächtlichen Umgang mit Apparaten stammt. Im Innersten der demokratischen Systeme bilden sich auf diesem Weg neue Keimzellen für eine befehlsgewohnte Arroganz ("Los, funktionier jetzt!"), eine neue Gutsherrenart und Sklavenhaltermentalität. Nicht dass die neuen Maschinen sonderlich - oder überhaupt - intelligent wären. Aber sie fordern uns immer subtiler heraus, uns zu ihnen zu verhalten.

Was spricht dagegen, sich mit einer Maschine anzufreunden?

Und weshalb auch nicht? Was spricht dagegen, sich mit einer Maschine anzufreunden? Die Technik kommt immer näher. Zwar haben sich Chip-Implantate nicht durchgesetzt - die Firma VeriChip etwa, die vor ein paar Jahren mit ihren reiskorngroßen RFID-Chips für den Zugang zu Strandclubs und Sicherheitseinrichtungen Furore gemacht hat, produziert heute Bio-Detektoren für den amerikanischen Heimatschutz. Aber Kommunikations- und Netztechnologie lassen es immer mehr an Distanz missen. Waren Telefone früher in kalte Vorzimmer verbannt, haben sie sich längst in unseren Taschen eingenistet, wie niedliche Tiere.

Apple hat mit dem iPhone die Touchscreens salonfähig gemacht – und einen geradezu zärtlichen Umgang mit der Hardware, die nicht mehr durch hartes Antippen oder Mausgeklapper angesprochen wird, sondern durch sachte Berührungen und Gesten. Gerade ist mit der Apple Watch der nächste Schritt erfolgt: Wie ein medizinisches Gerät liegen die Pulssensoren des kleinen Armbandgerätchens direkt an der Haut. Spätestens wenn die Gentechniker ihr Können mit dem der Algorithmiker zusammenlegen, werden auch Fernbedienungen hinfällig und die gewünschten Apparate uns auf Zuruf entgegenkrabbeln.

Ich versuche mir einen neuen Beruf vorstellen, den Maschinenpsychologen. Man kommt nach Hause, und schon im Flur quengeln einem wie Kinder oder Hardware-Haustiere um Auferksamkeit heischende Haushaltsgeräte entgegen. Was, wenn dein Lieblingsgerät plötzlich eine Sinnkrise erleidet? („Ich bin bloß ein hässlicher kleiner Handmixer"). Nein, das Achtlose, Wegwerfende, Herrische hat keinen Platz in unserer modernen Welt. An den Maschinen übt sich, wer die Realität meistern will.

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: