Reisen und Mediennutzung werden sich verändern, prophezeit StZ-Kolumnist Peter Glaser. Ein versuchsweiser Blick in die Zukunft – durch die neue Google-Brille „Glass".

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Wir wollen uns mal versuchen vorzustellen, was wäre, wenn die Google-Brille schon marktreif und verbreitet wäre. Anfangs hätte man die „Glasses“ wohl schlichtweg praktisch gefunden (auch wenn man damit ein bißchen albern ausieht), denn man kann sich damit zusätzliche kleine Realitätsebenen vor Augen führen. Richtungshinweise sehen, ohne erst Papierstadtplan-Origamis ausfalten zu müssen. Die Außentemperatur gleich beim Blick aus dem Fenster erfahren. Derlei.

Da man den Blick durch die Datenbrille per WLAN auch mit anderen teilen konnte, bildete sich rasch ein Biotop an Mietblick-Modellen, beginnend bei passiver Tourbegleitung. Dazu sucht man sich auf einer Online-Karte eine der zahllosen Personen aus, die ihre Glasses zum Mietgucken freigeschaltet haben, bucht den gewünschten Zeitraum und kann sich dann durch die entsprechende Weltgegend bewegen und dabei durch fremde Augen sehen. Verschiedene Bewertungsverfahren und Reality-Ratingagenturen sollen sicherstellen, dass man keine Filmkonserve, sondern Realtime-Realität zu sehen bekommt.

Sesselreisen mit der Google-Brille

Dieses simple Mitsehen läßt sich in den verschiedensten Formen upgraden. Bei Diensten wie „HuckeBlick“ kann man in den Premium-Versionen, in der Art eines privaten Tourguides, auch Fragen oder Anweisungen an den Glasses-Träger auf der anderen Seite richten. Anspruchsvolle oder misstrauische Augenreisende mieten gern zwei Blick-Sherpas am selben Ort, durch die gegenseitig kontrolliert werden kann, ob das Angebot echt ist – und auch, um eine Art Erlebnis-Stereophonie genießen zu können.

Diese Art der Welterkundung, das sogenannte Sesselreisen von sicheren, bequemen Orten aus, erfreut sich größter Beliebtheit. Es hat das Reisen als auch die herkömmliche Mediennutzung grundlegend verändert – Fern-Sehen hat inzwischen eine völlig andere Bedeutung als noch vor wenigen Jahren. Heute sieht sich kaum noch jemand Actionfilme an, stattdessen holt man sich Tipps, wann und wo die nächste Razzia in einer mexikanischen Drogenhochburg stattfindet und mietet sich dann in die Glasses eines Einsatzbeamten, eines Gangmitglieds oder von beiden ein.

Die Spieleindustrie bietet seit längerem als Weiterentwicklung der Ego Shooter sogenannte Ego Walker, bei denen man sich durch seine reale Umgbung bewegt, die aber massiv durch in Echtzeit berechnete eingeblendete Zusatzelemente - Architekturen, Menschen und Maschinen - überlagert ist. Begonnen hatte die Entwicklung mit den ersten Real-Werbeblockern, die Glasses-Träger als App laufen lassen konnten und die Reklameschilder auf der Straße aus- oder mit Bildern eigener Wahl überblendeten.

Natürlich versuchen auch Finsterlinge von der Technologie zu profitieren. Ahnungslose werden mit Navigations-Trojanern in Seitengassen gelotst und ausgeraubt. Gerüchtweise sollen auch militärische Goggles bereits mit Software-Backdoors kompromittiert sein, durch die im Ernstfall nichtvorhandene Angreifer oder Landschaftsteile eingeblendet werden können. Bei einer Freiluftmesse in Südkorea, an der mehr als 150.000 Menschen teilnahmen, soll eine Massenhysterie entstanden ausgelöst worden sein, nachdem in die Glasses der Teilnehmer eine gefälschte Marienerscheinung eingespiegelt worden war.

Und hier wie immer der Tweet der Woche: