Kein Ladenschluß, keine Sperrstunde, kein Programmende: Das Netz verwandelt sich in etwas, das überall und immer da ist – augenblicklich. Daran sind auch die sozialen Netzwerke Schuld.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Wer mit einem vernetzten Computer arbeitet, will alles, und zwar sofort. Das Internet entwickelt sich zunehmend zu einer Jetzt-sofort-alles-Maschine. Und diese digitale, planetenumspannende Maschine erzeugt eine neue Art von Ungeduld. Zu Beginn des neuen Jahrtausends begann das Netz sich konsequenterweise langsam von der Anmutung der längsten Schaufensterreihe der Welt wegzuentwickeln, zu dem es in den Neunzigerjahren geworden war. Anstelle statischen Webseiten ist nun ein großer Strom von kurzen Gesprächen, von Bildern, Filmen, Nachrichten, Empfehlungen ins Fließen gekommen – der Livestream der sozialen Medien.

Die Summe dieser Empfehlungen, denen man zu folgen bereit ist, ergibt ein neues Gewebe aus Nachrichten und Unterhaltung, das mit konventionellen Medienprodukten nur noch wenig zu tun hat. Es ist eine Art flüssige Zeitung. Es strömt, ist individualisiert und besitzt eine neue, übergeordnete Qualität. Dieser Echtzeit-Livestream hat ziemliche Ausmaße. Täglich werden weltweit etwa 500 Millionen Kurznachrichten auf Twitter verschickt, knapp 10 Prozent davon enthalten einen Link auf eine Empfehlung – einen Zeitungsartikel, ein Blogposting, ein Bild, ein Video. Auch die weltweit 1,3 Milliarden Facebook-Teilnehmer (davon geschätzte 81 Millionen Fake-Profile) sind nicht faul: sie verteilen täglich rund sechs Milliarden „Gefällt mir“-Klicks auf Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erreicht haben, pumpen 350 Millionen Fotos hoch und mehren die von Facebook gespeicherte Datenmenge, die bei derzeit 300 Petabyte liegt (1000 Billiarden Bytes).

Etwas, das überall und immer da ist

Aber die Verhältnisse in der digitalen Welt können sich auch schnell wieder ändern. So wie Google innerhalb weniger Jahre das Suchen aus einem nützlichen, aber beiläufigen Dienst in den Hauptzugang zum Internet verwandelt hat, kann die Situation sich rasch wieder woandershin entwickeln. Welche der neuen Dienste sich langfristig durchsetzen und halten werden, läßt sich nur schwer vorhersagen. Aber sämtliche Medien, allen voran das Netz, sind inzwischen auf einen Echtzeit-Zustand ausgerichtet: Permanenz.

Online gibt es keinen Ladenschluß mehr, keine Sperrstunde, kein Programmende. Der digitale Medienfluß ist dabei, sich in etwas zu verwandeln, das überall und immer da ist – und etwas, das uns an immer mehr Stellen einlädt, ihm unsere Zeit zu widmen. Früher öffnete sich einmal pro Abend mit der Tagesschau das Nachrichtenfenster in die Welt. Heute fließen die Ströme an Meldungen, Unterhaltung, Information, die digitalen Produkte unausgesetzt. Sonderbare Dinge wie “Testbild” oder “Sendeschluß” kennen junge Medienkonsumenten nicht mehr. Das Netz ist zum Inbegriff der Permanenz geworden.

Früher gab es einen Zustand, dann kam eine Veränderung, dann ein neuer Zustand. Jetzt ist Veränderung der Zustand.

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: