Der Schriftsteller Peter Härtling hat im Augustinum aus seiner Novelle „Das ausgestellte Kind – Mit Familie Mozart unterwegs“ gelesen. Mit der musikalischen Unterstützung von Anke Dill und Florian Wiek entstand das Porträt eines ganz normalen Kindes im Genie.

Riedenberg - Wie es sich anfühlt, anders als andere zu sein, das hat der Schriftsteller Peter Härtling als Flüchtlingskind am eigenen Leib erfahren. Und so konnte er sich schreibend gut einfühlen in den Wunderknaben Wolfgang Amadeus Mozart, der gemeinsam mit seiner Schwester Nannerl an den europäischen Adelshöfen als junges Genie herumgereicht wurde. In seiner 2006 verfassten Novelle „Das ausgestellte Kind – Mit Familie Mozart unterwegs“ beschreibt der Autor die frühen Konzertreisen aus der Sicht eines Kindes, das sich mit Witz den Anstrengungen unterzieht und sich zur Erholung in eine Fantasiewelt flüchtet. Bei einer Lesung auf Einladung der Mozart-Gesellschaft Stuttgart im Sillenbucher Augustinum wurde Peter Härtling von der Geigerin Anke Dill und dem Pianisten Florian Wiek begleitet. Sie ergänzten das Programm um zwei frühe Sonaten Mozarts, der heute vor 260 Jahren auf die Welt gekommen ist.

 

Bei der 1766 entstandenen Sonate in G-Dur (KV 27) wie auch der in D-Dur (KV 29) steht eigentlich das Cembalo im Vordergrund. So begann Geigerin Anke Dill mit einem sehr zarten und doch tiefgründigen Andante, während ihr Ehemann Florian Wiek am Flügel das Selbstbewusstsein des jungen Klaviervirtuosen Mozarts mit klarem Spiel zur Geltung brachte. Gedanklich versetzten sich die Zuhörer in einen Saal, in dem die elf- und neunjährigen Geschwister Mozart vor einem adligen Publikum ihre Kunst präsentieren sollten.

Strapaziöse Konzertreisen

Dass diese Konzertreisen kein Zuckerschlecken waren, machte Peter Härtling lesend deutlich, der dem strapazierten Wunderkind Wolfgang Amadeus einen kleinen Geist zur Seite gestellt hat: Quintus, ein „krummes, grässliches Wesen“ taucht zwischen den Noten auf und treibt viel Schabernack. Peter Härtling aber erzählt von den Reisen und Auftritten eines vom ehrgeizigen Vater Leopold getriebenen frühen Genies aus der Sicht eines Kindes. Der kleine Wolfgang ist einer, der „gscheid daherredet“, der sich schlagfertig dem Vater entgegenstellt, wenn dieser meist über Geld spricht und sich über den Geiz seiner Gönner ärgert.

Das herzliche Verhältnis von Bruder und Schwester, die gegenseitigen Frotzeleien, die klammen Betten in unzähligen Gasthöfen, die vornehmen Konzertsäle: Peter Härtling gelingt es, diese Epoche lebendig werden zu lassen, und er findet sprechende und klingende Bilder, etwa wenn sich die Eltern Mozart zweistimmig für ihren zum Unsinn aufgelegten Nachwuchs entschuldigen. Vater Leopold, stolz auf den Sohn wie auf die talentierte Pianistin Nannerl, übt dabei nicht wenig Druck aus. Härtling aber macht deutlich, dass sie bei aller Begabung noch Kinder sind.

Fürze im Kopf

„Du hast allerweil Fürze im Kopf“, stellt die Schwester fest, und der kleine Bruder schickt ihr den imaginären Schelm Quintus unters Kleid, damit dieser sie beim Musizieren am Rücken kitzelt. Das alles ist gründlich recherchiert und doch nicht übermäßig historisierend. Härtling kommt es auf die Atmosphäre an, nicht auf eine detaillierte Wiedergabe der Biografie. Auch hütet sich der 1933 in Chemnitz geborene Autor, es mit dem österreichischen Dialekt zu übertreiben. So beispielsweise, als der charmante Wolfgang der Kaiserin Maria Theresia auf den Schoß springt und sie „busselt“.

Im Kapitel über die Flucht vor den in Wien grassierenden Blattern, bei der beide Kinder erkranken, treffen die Biografie des Komponisten und die seines Autoren zusammen. Im mährischen Olmütz nämlich kommen die Geschwister wieder zu Kräften, wobei die Krankheit bei Wolfgang Amadeus optische wie seelische Narben hinterlassen hat. Der Zufluchtsort Olmütz aber ist auch der Ort, in dem Härtlings Familie 1942 eine vorläufige Heimat fand. Später starb sein Vater in russischer Kriegsgefangenschaft und die Mutter nahm sich das Leben. Eher nebenbei erwähnte der Autor seine persönlichen Erinnerungen an Olmütz, an die Tafel, die von Mozarts Aufenthalt hier erzählt. „Fast jeden Tag habe ich das Schild gelesen, als bestätige es den guten Geist dieser Stadt“, schloss er seine Lesung, um den Stab erneut an die beiden Musiker zu übergeben, die das Programm mit einem besonders schön gespielten Menuett beendeten.