Verstanden hat Peter Sagan seinen Ausschluss nicht – aber mit Fassung getragen. Klar ist: Ab sofort stehen die Sprinter bei der Tour de France unter verschärfter Beobachtung. Auch an diesem Donnerstag in Troyes.

Vittel - Der Club Med Ermitage in Vittel gehört zu dem französischen Reiseunternehmen, das aktuell mit dem Spruch „Die Freiheit, alles zu erleben!“ wirbt. Eigentlich hätte sich Peter Sagan, der Freigeist unter den Radprofis, in dem mondänen Hotel rundum wohlfühlen müssen. Doch der Weltmeister hatte keinen Blick für das altehrwürdige Gebäude und den eindrucksvollen Park, als er am Mittwochmorgen die breite Eingangstreppe hinunterschritt. Er kam, um sich zu verabschieden. Von seinen Zielen. Vom Grünen Trikot. Von der Tour de France.

 

Sagan (27) sprach weniger lang, als er für den letzten Kilometer einer Etappe benötigt. Mit offenem Haar und in legerer Freizeitkleidung erklärte er vor Dutzenden Kameras und Mikrofonen: „Ich muss die Entscheidung akzeptieren. Natürlich stimme ich mit der Meinung der Jury nicht überein. Ich denke, ich habe im Sprint nichts falsch gemacht.“ Sagan verlor kein böses Wort, er zeigte einen Abgang mit Stil. Nach einem Urteil, das die Tour noch beschäftigen wird.

Sagans Teamchef: „Es war ein klarer Rennunfall“

Am Tag zuvor war Sagan im Zielspurt in Vittel mit Mark Cavendish aneinandergeraten. Der Brite raste mit Tempo 60 in ein Absperrgitter, stürzte schwer. Er zog sich einen Bruch des Schulterblatts zu, musste die Tour beenden. Die Jury, die der Radsport-Weltverband UCI stellt, sah die Schuld bei Sagan, brummte dem Slowaken aus dem deutschen Team Bora-Hansgrohe zunächst eine 30-Sekunden-Strafe auf – und schloss ihn eine Stunde später aus. „Dazu gehört Mut“, lobte Cavendish, während Sagan, der zum sechsten Mal das Grüne Trikot des Punktbesten gewinnen und damit zu Erik Zabel aufschließen wollte, die Welt nicht mehr verstand. „Es war schlimm, dass Mark gestürzt ist, das tut mir leid“, sagte er, „aber er kam von hinten. Ich habe ihn nicht gesehen, musste das Gleichgewicht halten.“ Auch Ralph Denk kritisierte die Jury. „Es war ein klarer Rennunfall“, sagte Sagans Teamchef, „es gab eine Berührung, Peter musste auf dem Bike balancieren, und dafür brauchte er seine Ellbogen. Das war kein Vorsatz.“

Der Rennstall legte Protest gegen die Disqualifikation ein, und er rief per Eilantrag auch den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne an. Vergebens: Die Jury blieb bei ihrem Urteil. Als die fünfte Etappe um 13.10 Uhr in Vittel begann, war Sagan schon auf dem Weg zum Flughafen. Zurück blieb ein frustrierter Teamchef. „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass uns von der Jury einfach ohne Anhörung eine Entscheidung mitgeteilt wurde“, sagte Denk, „wenn es in der Formel 1 kracht, holt man die Fahrer an einen Tisch. Das ist hier nicht passiert.“

Ist die Strafe gerecht?

Weshalb es am Mittwoch vor dem Start nur eine Frage gab: Ist die Strafe gerecht? „Ja“, meinte Tour-Direktor Thierry Gouvenou, der Sagan auch den ersten Massensturz einen Kilometer vor dem Ziel in Vittel zuschrieb, „letztlich gibt es keine mildernden Umstände. Die Jury hat eine gute Entscheidung getroffen.“ So sah es auch Rolf Aldag. Der Sportliche Leiter in Cavendishs Team Dimension Data hatte den Ausschluss Sagans vehement gefordert: „Das war ein vorsätzlicher Ellbogencheck, kein Unfall. Dafür gehört er nach Hause geschickt.“

Andere revidierten ihre Meinung. Zum Beispiel André Greipel. Der deutsche Sprinter hatte Sagan unmittelbar nach dem Rennen heftig attackiert („Nur weil er das Weltmeister-Trikot anhat, kann er sich nicht alles erlauben“), später twitterte er: „Manchmal sollte ich mir die Bilder ansehen, bevor ich rede. Entschuldigung an Peter Sagan – die Strafe ist zu hart.“ Zustimmung erhielt er von Simon Geschke, Tour-Etappensieger 2015: „Cavendish ist in eine Lücke gestoßen, wo eigentlich kein Platz mehr war.“ Noch deutlicher wurde Marcel Wüst. „Die Strafe ist viel zu hart“, erklärte der Ex-Sprintstar, „das wäre so, als würde ein Bundesligaprofi für ein grobes Foul die komplette Saison gesperrt werden.“ Ex-Profi Fabian Wegmann meinte: „Ein Ausschluss? Das geht nicht!“

Zumal das Sagan-Urteil Folgen haben wird. Jeder Sprint, in dem es knallt, wird künftig daran gemessen. Und in Sprints knallt es oft. Nicht nur bei der Tour, aber vor allem dort. Schon an diesem Donnerstag steht die nächste Flachetappe an, auch im Ziel in Troyes wird es eng zugehen. Auf die Frage, was man tun könne, um die Fahrer besser zu schützen, antwortete Marcel Kittel, Sieger der Etappe in Lüttich: „Nichts! Zu versuchen, Sprints sicherer zu machen, ist Quatsch.“ Ähnlich äußerte sich Peter Sagan: „Es war ein verrückter Sprint in Vittel“, meinte er, „aber es war nicht der erste dieser Art – und sicher auch nicht der letzte.“

Sagan pflegt Enttäuschungen mit einem coolen Spruch zu verarbeiten. Sein liebstes Motto lautet: „Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein.“ Selten hat es besser gepasst.