Der Karlsruher Denker Peter Sloterdijk bestimmt seit Dekaden die deutschen Debatten mit. An diesem Montag wird er siebzig Jahre alt.

Karlsruhe - Über Nacht berühmt und zum Bestsellerautor wurde Peter Sloterdijk 1983 durch die zweibändige, in der Edition Suhrkamp erschienene „Kritik der zynischen Vernunft“. Das Buch beeindruckte die Öffentlichkeit damals durch seinen unakademischen Stil, der sich deutlich von der Sprache der beamteten Philosophieprofessoren an den deutschen Universitäten unterschied. Aber auch durch seinen Inhalt, der zeigen wollte, dass das Projekt der Aufklärung, dem sich die Philosophie seit ihren Anfängen verschrieben hatte, im Lauf der Geschichte zum zynischen Einverständnis mit dem Weltlauf in der durch Kapitalismus und Technik geprägten Moderne pervertiert war. Seither hat der an diesem Montag vor siebzig Jahren in Karlsruhe geborene Autor mehrere Dutzend Bücher veröffentlicht und war in zahlreiche philosophische wie politische Debatten verstrickt, die das Publikum jedes Mal in Anhänger und Gegner spaltete.

 

Ein Ausflug zum Bhagwan nach Indien

In der Nachkriegszeit als Spross einer deutsch-niederländischen Ehe, die nicht lange hielt, geboren, wuchs der junge Peter Sloterdijk „ohne prägendes väterliches Element“ auf, wie er später bedauernd kommentierte. Nach einem mit der Promotion abgeschlossenen Studium der Philosophie, der Germanistik und der Geschichte an den Universitäten München und Hamburg geriet der Dreißigjährige in eine existenzielle Krise, die 1978 zu einem zweijährigen Aufenthalt im Aschram von Bhagwan Shree Rajneesh im indischen Pune führte. Sloterdijk hat diese Indienwallfahrt später als die entscheidende Kehrtwendung seines Lebens bezeichnet, ohne die seine spätere Schriftstellerei nicht zu denken sei. Professor ist er dann trotzdem geworden, zuletzt für lange Jahre an der Hochschule für Gestaltung seiner Heimatstadt Karlsruhe, ohne dabei die Aura des unorthodoxen Selbstdenkers zu verlieren. Sloterdijks Fans schätzen vor allem seine süffigen sprachlichen Neuschöpfungen, während seine Verächter diese rhetorischen Kapriolen für billige Kalauer halten.

Ursprünglich von der Kulturkritik der älteren Frankfurter Schule inspiriert, hat sich Sloterdijk seit seiner Indienerfahrung und seinem Durchbruch als Schriftsteller mit der „Kritik der zynischen Vernunft“ immer mehr von deren Positionen entfernt. Besonders zu den Vertretern der zweiten und dritten Generation der Frankfurter Schule, die sich mit Jürgen Habermas angeschickt hatte, die westliche Vernunft gegen alle modernitätskritischen Angriffe zu verteidigen, hat sich inzwischen eine stabile Gegnerschaft entwickelt.

Das beginnt schon damit, dass Sloterdijk neben seiner Orientierung an Nietzsche bis heute große Stücke auf Martin Heidegger hält, den Antipoden der Frankfurter, und beispielsweise dessen Parole der „Gelassenheit“ mit seinen aus Indien mitgebrachten buddhistischen Erfahrungen in Einklang zu bringen versucht. Als „religiös unmusikalisch“ kann man Sloterdijk also nicht bezeichnen, dafür nimmt die Religion in seinen Schriften einen zu breiten Raum ein. Noch das für den Komponisten Jörg Widmann verfasste Libretto für dessen 2012 uraufgeführte Oper „Babylon“ kreist um religiöse Themen. Aber wie Heidegger arbeitet sich Sloterdijks Kritik immer wieder an den drei monotheistischen Religionen ab, denen er, ähnlich wie auch der Ägyptologe Jan Assmann, in Büchern wie „Zorn und Zeit“ (2006), „Gottes Eifer“ (2007), „Im Schatten des Sinai“ (2013) und zuletzt noch im Band „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ (2014) ein aggressives Potenzial unterstellt, das unsere Gegenwart auf fatale Weise bestimme. Manche Kritiker wollen in diesen Schriften antijüdische Untertöne entdeckt haben.

Gegenentwürfe als Berufung

Den Gegenentwurf zu diesem aus Sloterdijks Sicht auf Expansion, totale Mobilmachung und Weltunterwerfung angelegten monotheistischen Projekt hat der Schriftsteller in seiner „Sphären“-Trilogie (1998–2004) vorgelegt. Sie deutet die ganze Kulturentwicklung als Ersatz für den durch die Geburt erfahrenen Verlust der schützenden Hülle, die zuvor der Mutterleib gewährt hatte. Von dieser Theorie her lassen sich neben einem kritischen Blick auf die Globalisierung noch einige der jüngeren politischen Einlassungen von Sloterdijk verstehen. Etwa seine Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik, der er eine „‚Flutung‘ Deutschlands mit unkontrollierbaren Flüchtlingswellen“ vorgeworfen hat, während für Sloterdijk kein soziales System und damit auch kein Staat ohne Grenzen auskommt, die dessen Innenwelt schützend gegen die Außenwelt absichern.

Soll man hier alle Kontroversen aufzählen, in die Sloterdijk in den vergangenen Jahrzehnten verstrickt war und sich dabei einen Namen als reflektierter konservativer Intellektueller gemacht hat? Etwa die Debatte um den Vortrag „Regeln für den Menschenpark“ von 1999, aus dem Kritiker ein Plädoyer für die Menschenzüchtung heraushören wollten. Oder an seinen in der FAZ 2009 veröffentlichten Essay „Die Revolution der gebenden Hand“ erinnern, in dem er den modernen Steuerstaat als Ausplünderer der leistungsstarken Mittelschichten kritisierte und stattdessen vorschlug, die durch den Staat eingezogenen Steuern durch freiwillige Gaben hochherziger Bürger zu ersetzen? Sicher ist jedenfalls: Wenn Peter Sloterdijk sich zu einer aktuellen Frage äußert, ist ihm die Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit gewiss. Das wird auch nach seinem siebzigsten Geburtstag so bleiben.