Martha Beck hat 1945 das untergetauchte jüdische Ehepaar Krakauer aufgenommen. Dafür hat sie 1979 das Bundesverdienstkreuz bekommen.

Korb - Als Albrecht Beck nach dem Ende des Krieges erfahren hat, wen seine Mutter Martha im März 1945 für eine Woche im Korber Pfarrhaus aufgenommen hatte, hat er ihr schwere Vorwürfe gemacht. Denn bei dem Ehepaar, das vom 20. bis zum 27. März im ohnehin bis unter das Dach belegten Pfarrhaus von Korb wohnte und täglich durch das Dorf spazierte, handelte es sich um Karoline und Max Krakauer, ein jüdisches Ehepaar aus Berlin. Sie waren Anfang 1943 untergetaucht und auf der Flucht vor den Nazis.

 

„Wenn das herausgekommen wäre, dann wäre meine Mutter wohl eingesperrt worden“, sagt der 79-jährige Beck heute. Dieser Tage hat er, der vor Jahrzehnten aus Korb weggezogen ist, dort alte Freunde besucht und Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges ausgetauscht. Bei der Erzählrunde lief ein Aufnahmegerät mit. „Wir wollen dieses Zeitzeugengespräch dokumentieren und überlegen, wie wir damit umgehen“, so der Kirchengemeinderat Johannes Schwegler. Auf alle Fälle solle es im Korber Kirchenarchiv verwahrt werden.

Martha Beck hat nur ihre Schwester eingeweiht

Im März 1945 war Albrecht Beck zwölf Jahre alt und das älteste von vier Kindern. Sein Vater Eberhard hatte 1936 eine Stelle als Pfarrer in der Gemeinde Korb angetreten und sich bei den Nazis nicht eben beliebt gemacht. „Mein Vater hat unerschrocken gepredigt und ist zwei Mal von der Gestapo verhört worden.“ 1942 musste der Pfarrer nach Russland, seine Frau Martha blieb mit den vier Kindern in Korb zurück.

Vermutlich war es der Waiblinger Dekan Hermann Zeller, der Martha Beck fragte, ob sie bereit wäre, die beiden Verfolgten aufzunehmen. Die 37-Jährige hat zugesagt und nur ihre Schwester, die ausgebombt war und mit ihrer Tochter im Pfarrhaus wohnte, eingeweiht. Für die Kinder, eine im Haus lebende Gemeindehelferin und die Mehrheit der Dorfbewohner waren die Krakauers, die unter dem Namen Ackermann auftraten, ein Paar, dessen Zuhause von Bomben zerstört worden war. Viel nachgefragt habe keiner, sagt Beck. Die Freundin seiner Schwester Doris, Maria Mayer, kann sich erinnern, dass sie von ihren Eltern wegen des Besuchs meist mit einem Brotlaib zu Pfarrers geschickt worden ist. „Wir waren eine Bauernfamilie und hatten immer Mehl.“ Die beiden Besucher mit Essen zu versorgen, sei ein Problem gewesen, erklärt Albrecht Beck. Ohne Marken habe es quasi nichts gegeben, und die Krakauers hätten keine besessen, da sie offiziell gar nicht da waren. „Ich weiß aber noch, wie ich mit ihnen in ein Lokal nach Kleinheppach spaziert bin. Dort gab es ein Vesper ohne Marken.“

Keine Ehrung mit der Yad-Vashem-Medaille

Dass Max und Karoline Krakauer am helllichten Tag durch den Ort gehen durften, sei eine mutige Entscheidung seiner Mutter gewesen, sagt Albrecht Beck im Rückblick. Die Gemeinde Korb war ein Dorf wie viele andere – mit überzeugten Nazis, aber auch mit Kommunisten und Christen. Maria Mayer, deren Vater zu letzteren gehörte und stets mit Grüß Gott statt Heil Hitler grüßte, weiß noch gut, dass der Aushilfspfarrer aus Großheppach eines Tages vor lauter Wut seine Bibel an die Wand warf. Der Auslöser sei gewesen, dass die Hitlerjugend zum x-ten Mal just zur Zeit des Konfirmandenunterrichts einen Dienst angeordnet hatte und daher kaum ein Konfirmand erschienen war.

Im Jahr 1979 hat Martha Beck für ihren Mut das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. „Sie wusste gar nicht, wieso, und hat erstmal nachgefragt, warum“, sagt ihr Sohn. 1983 ist die Pfarrersfrau gestorben. Erst viele Jahre später, im April des vergangenen Jahres, haben ihre Kinder vorgeschlagen, Martha Beck die Yad-Vashem-Medaille zu verleihen, mit welcher der Staat Israel Nichtjuden ehrt, die sich um die Rettung von Juden in der Nazizeit verdient gemacht haben. Zu einer Ehrung als „Gerechte unter den Völkern“ ist es, anders als bei manch anderem Helfer, indes nicht gekommen. Die zuständige Stelle im deutschen Sankt Augustin, erzählt Beck, habe den Vorschlag abgelehnt – mit dem Argument, es sei nicht erwiesen, dass seine Mutter gewusst habe, dass sie im März 1945 Juden beherbergte.

27 Monate auf der Flucht

Odyssee: Anfang des Jahres 1943 tauchten Karoline und Max Krakauer, der Leiter eines Filmverleihs in Leipzig, vor den Nazis unter. Im Laufe der nächsten 27 Monate fand das jüdische Ehepaar in 66 Häusern in Berlin, Pommern und Baden-Württemberg Unterschlupf, meist für wenige Tage.

Gastgeber: Die erste Station der Krakauers war ein Versteck in Berlin, die letzte war das Pfarrhaus in Kernen-Stetten im Remstal. Das Paar wurde auch in den Landkreisen Esslingen, Tübingen, Böblingen und Ludwigsburg aufgenommen - meist in Pfarrhäusern. Im Rems-Murr-Kreis waren Karoline und Max Krakauer in Korb bei der Familie Beck, in Beinstein bei Albert Kimmich, in Waiblingen bei Elsbeth und Hermann Zeller und in Stetten bei Hildegard Spieth zu Gast. Dort endete ihre Zeit im Untergrund am 21. April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen.

Nachkriegszeit: Bis zum Jahr 1950 lebten Krakauers in Waiblingen, dann zogen sie nach Stuttgart. Ihre Tochter Inge hatte den Krieg in England überlebt. Max Krakauer starb 1965, seine Frau im Jahr 1972.

Erinnerungen: Die Flucht und Rettung schilderte Max Krakauer in dem Buch "Lichter im Dunkel", das 1947 erstmals erschienen und seither mehrmals nachgedruckt worden ist. Im Jahr 2007 hat der Calwer Verlag den Text erneut veröffentlicht, wobei erstmals die zuvor abgekürzten Retternamen ausgeschrieben wurden.