Unter den Hengsten gibt es Draufgänger, Charmeure und ganz coole Typen. Und die Stuten öffnen vor allem im Mai ihre Herzen. Zu Gast in einer Deckstation.

Biberach - Mit „Rucksackbullen“ hat man einst die Tierärzte tituliert, die bei Einführung der künstlichen Besamung bei Rindern von Kuhstall zu Kuhstall unterwegs waren, um dem Nachwuchs auf die genetischen Sprünge zu helfen. Inzwischen kriegt kaum noch ein Rindvieh den Kälbererzeuger beim Natursprung zu Gesicht, die Vatertiere sind zu Katalognummern der großen Besamungsstationen geschrumpft. Beim Pferd, gerühmt als des Menschen bester Kamerad, ist der Trend ähnlich verlaufen, wenn auch mit Verzögerung. Doch es gibt noch Inseln des Idylls und Orte der leibhaftigen Begegnung zwischen Hengst und Stute – früher amtlicherseits Beschälplatten genannt, heute unterm Allerweltsbegriff „Servicestationen“ geführt.

 

Biberach an der Riß, droben auf ewig zugiger Höhe und versteckt hinter der ausladenden Anlage der örtlichen Reitervereinigung. Es ist ein regnerischer trister Morgen, so trist, dass selbst die Hofspatzen länger als üblich schlafen. Schon seit sechs Uhr in der Früh’ pendeln der Hauptsattelmeister Peter Friedrich, der Veterinär Klaus Banzhaf vom Aulendorfer Pferdegesundheitsdienst und die Auszubildende Lisa Hofbauer zwischen zwei bescheidenen Gebäuden hin und her, die die Servicestation des Haupt- und Landgestüts Marbach ausmachen. „Wir sind gerade an einer schwierigen Stute“, hatte Peter Friedrich schon am Telefon gesagt, mithin war klar: Für Pressemenschen gibt es weit „handlichere“ Themen als die Fortpflanzungsvarianten in der Pferdehaltung.

Freilich erweist sich das Trio als eingespieltes Team, bei dem jeder Griff sitzt. Den Part mit dem augenfälligsten Handgriff hat dabei der Tierarzt bei den Stuten zu absolvieren, die nach und nach vom Stall in den sogenannten Sprungraum und dort hinter eine ausschlagsichere Prüfwand dirigiert werden: Mit folienbewehrtem Arm greift Banzhaf von hinten bis zum Anschlag in die Tiere, um via Follikelkontrolle die als Rossigkeit bezeichnete Empfängnisbereitschaft zu ertasten und dann per Ultraschall auf dem Bildschirm zu verifizieren. Unwillkürlich kommt da der Gedanke auf, welch harte Ratenuss der gute Mann wohl weiland bei Robert Lembkes heiterem Beruferaten mit seiner obligatorischen, typischen Handbewegung dem Knobelteam zum Knacken aufgegeben hätte.

Fleiner spielt in der obersten Altherrenklasse

Nach und nach wird es auch draußen im Hof lebendig. Motorgespanne mit Pferdeanhängern rumpeln durch die Pfützen und karren weitere Nachwuchsaspirantinnen herbei. Jetzt kommen im nüchtern und sachlich ausstaffierten Sprungraum, der so gar nichts von einer Liebeslaube hat, die unterschiedlichsten Züchterwünsche auf Trab. Oft freilich haben die drei mehr oder weniger erwartungsfrohen Hengste in ihren Boxen das Nachsehen, weil eine künstliche Besamung angepeilt wird.

Einer der Hengste muss indes immer ran, ob ein Natursprung oder ein Mutterglück kraft Kunstgriff vorgesehen ist: Das ist der Württemberger Fleiner, der mit seinen 26 Lenzen innerhalb der Marbacher Deckhengstriege in der obersten Altherrenklasse spielt. Am Zügel von Peter Friedrich kommt der Prachtbursche im Paradeschritt und mit freudigem Grummeln in den Sprungraum, wenn es gilt, eine neue Stute und deren Empfängnisbereitschaft zu taxieren. Fleiner, ganz Kavalier alter Schule, macht das feinfühlig vorne und hinten, wobei seine Manneskraft ein ums andere Mal unübersehbar ist, er „hängt aus“, wie die Experten sagen.

Dennoch nimmt es der Schwarzbraune nicht krumm, wenn er nach jedem Kurzauftritt unverrichteter Dinge wieder in seine Box muss. Einen Zweck sieht dabei Veterinär Banzhaf auf jeden Fall erreicht, nämlich den, dass sich die Stimulation durch den Hengst bei den Stuten „fruchtbarkeitsfördernd“ auswirkt. Mit Boxennachbar Carry, einem 17-jährigen Holsteiner, wäre eine solch frustige Tour nicht zu machen, ist sich Stationsleiter Friedrich sicher. Carry, der pachtweise für Marbach unter Vertrag steht und laut Gestütskatalog „zu den interessantesten Vererbern Deutschlands“ zählt, muss seine Erregung vorerst durch Tänzeln und gelegentliches Zähneblecken zähmen. Feldbach wiederum, dem Schwarzwälder Fuchs und Drittem im Männerbunde, kommt sein Kaltbluterbe zu Gute: Der Siebenjährige bleibt cool, streckt dem lärmigen Getriebe von Fall zu Fall auch mal demonstrativ sein Hinterteil zu.

Spermienlieferung per Kurier

Züchter und Stationspersonal – man ist hier fast durchweg per Du – nutzen das Treffen zum Informationsaustausch und als Neuigkeitenbörse. Marianne, Züchterin aus Schemmerhofen, sorgt dafür, dass sich die Starqualitäten innerhalb des hippologischen Stelldicheins kurzfristig verschieben. Mit der Sportstute Rock-Corry hat sie auch deren vier Wochen altes Fohlen Sputnik mitgebracht, und der kleine Springinsfeld mischt den Sprungraum auf. Zwar wird es mit der Besamung der Stute im Moment noch nichts, aber Marianne krönt ihre Heimfahrt noch mit einer unfreiwilligen Lachnummer: Man hatte sie im Pferdetransporter eingeschlossen und erst heftiges Klopfen führte zu ihrer Befreiung.

Zwischendurch muss Peter Friedrich immer mal wieder ans Telefon, um Nachschub für die künstliche Besamung zu ordern. Aus der Marbacher Dependance in Offenhausen, wo 18 Hengste Dienst tun, geschieht dies mittels Kurier binnen Stunden, Spermienlieferungen aus Norddeutschland oder benachbarten EU-Ländern dauern entsprechend länger. Für die Württembergerin Hella aus einem Ort mit dem schönen Namen Bellamont steht so gesehen das Mutterglück unter einem guten Stern. „Die Follikel haben sich gut weiterentwickelt“, sagt der Veterinär zum Züchter Robert, und der als Samenspender erwählte Hengst Herbstkönig ist ja auch nicht weit. Hoffen darf schließlich auch die Hannoveranerin Dornröschen. Bis in 17 Tagen dürfte sie laut Befund wieder rossig sein – und bis dahin ist auch der vaterschaftliche Beitrag des Rheinländers Bellissimo längst in Oberschwaben.

Der Top-Vererber Carry aber findet noch am gleichen Morgen dank der 20-jährigen Holsteinerin Mynta seine lange genug aufgestaute Erlösung. Die beiden sind sich so einig, dass auch die Spannseile, die stets zum Schutz des Hengstes an den Hinterbeinen der Stute befestigt werden, einer reinen Formsache gleichkommen.

Vier Monate dauert die Decksaison

Peter Friedrich gehört seit 28 Jahren zum Marbacher Gestütspersonal, in Biberach ist er bereits zum 16. Mal. Und so weiß der 44-Jährige aus Hengen zur Genüge, an welch kurzem Zügel das Familienleben während der viermonatigen Decksaison vonstatten gehen muss. Gerade mal an den Wochenenden sieht Friedrich seine Frau und die beiden elf und 14 Jahre alten Töchter – die zum Glück die Pferdepassion des Vaters teilen.

Noch ist der Andrang am Biberacher Sankt-Georgs-Weg überschaubar. Wenn die Stuten aber den Mai auch für sich als Wonnemonat reklamieren (und nach aller Erfahrung den Juni gleich mit), dann kann es sein, dass Hauptsattelmeister von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr in der Nacht nicht aus den Stiefeln kommt. Im Schnitt, so sagt er, werden pro Saison etwa hundert Stuten in der Deckstation gezählt, doch um zum Erfolg zu kommen, ist es mit einem einmaligen Besuch nicht getan, zehn bis 20 Mal gehen die Tiere in der Regel ein und aus.

Noch in den 1980er Jahren, so erinnert sich Marbachs stellvertretender Gestütsleiter Thomas Raue, seien die Gestütswärter und Sattelmeister im Frühling mit ihren Hengsten zu 25 Deckstationen im Land ausgeschwärmt. Davon sind fünf übrig geblieben, hinzu kommen eine Einrichtung für die reine Kaltblutzucht in St. Märgen sowie Hengsthaltungen in Privatregie. Die Gründe des Rückgangs liegen im Fortschreiten der künstlichen Besamung, im veränderten Nutzungsprofil der Pferde für Sport und Freizeit und schließlich auch in der Mobilität der Züchter.

Die Marbacher Gestütschefin Astrid von Velsen-Zerweck, die sich mit dem schönen Titel einer Landoberstallmeisterin schmücken darf, verbreitet in ihrem Vorwort zum Hengstverzeichnis 2012 Aufbruchstimmung und verweist unter anderem auf bauliche Errungenschaften. Weiter zitiert sie ein Wort des Züchters Bruno Hummler, wonach die Freude an der Pferdezucht einem (in diesem Fall unschädlichen)Virus gleicht. Und genau davon meint man auch droben am Biberacher Sankt-Georgs-Weg viel zu verspüren.