Am Montag werden mehr als 30 000 Besucher zum Pfingstmarkt in Köngen erwartet. Warum sich ein Bad in der Menge lohnt – oder eben nicht – erörtern die Autoren Thomas Schorradt und Ulrich Stolte.

Köngen - Die Prognose für den Pfingstmontag ist gut. 20 Grad und leicht bewölkt, das verspricht der Wetterbericht – mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von nicht ganz 100 Prozent. Hundertprozentig sicher aber ist dagegen: Der Pfingstmarkt wird am Montag, 5. Juni, wie in den Jahren zuvor Zehntausende von Besuchern nach Köngen locken.

 

Es hat mittlerweile Tradition: Am Markttag wird die knapp 10 000 Einwohner zählende Neckartalgemeinde ihre Einwohnerzahl wohl wieder glatt verdreifachen. Der Ansturm gilt einem Freiluft-Kaufhaus, in dem 300 Händler ihre Waren feilbieten. Ihre Auslagen ziehen sich zusammengerechnet über eine Länge von rund fünf Kilometern hin. Im Gegensatz zu dem konstant bleibenden Besucheransturm ist das Angebot im Vergleich zu früheren Jahren geschrumpft worden. „Wir hatten auch schon 400 Beschicker. Aber um den Sicherheitsgedanken Rechnung zu tragen, mussten wir die Zahl begrenzen“, sagt die Marktleiterin Sigrid Handt, die auch in diesem Jahr wieder gut 50 Absagen verschicken musste.

Doch auch so dürfte kein Kundenwunsch unerfüllt bleiben. Von Autopflege bis Zwiebelschneider, von Abführmittel bis Zeckenspray ist im Angebot, was des Marktbummlers Herz begehrt. „Gut gehen immer Lederwaren und Oberbekleidung, etwas außer Mode sind die Renner der vergangenen Jahre, Sonnenbrillen und Handy-Zubehör“, sagt Sigrid Handt.

Erstmals fand der Markt 1787 statt

Die Anfänge des Pfingstmarkts in Köngen liegen im ausgehenden 18. Jahrhundert. Im Jahr 1787 erteilte die Königliche Kreisregierung erstmals die Erlaubnis, einen Marktes während der Pfingstfeiertage abzuhalten. Wie bei Märkten damals generell üblich, stand der Verkauf von Vieh im Vordergrund – eine Tradition, die in Köngen in den 1960er-Jahren eingeschlafen ist. Unabhängig von den Wurzeln ist die Bedeutung des Pfingstmarktes für die Gemeinde dagegen über die Jahrhunderte hinweg gewachsen. „Pfingsten ohne diesen Markt ist für die Einwohner inzwischen unvorstellbar“, heißt es auf der Internetseite von Köngen.

Die Einschätzung trifft auch auf viele Besucher aus dem direkten Umland zu. Traditionell ist der Besuch des Pfingstmarkts der Auftakt der gemeinsamen sommerlichen Familienausflüge und wird gerne mit einer gemütlichen Radtour, sei es neckarauf- oder neckarabwärts verbunden. Das Fahrrad oder zumindest der öffentliche Bus drängen sich ohnehin als Verkehrsmittel der Wahl auf. Parkplätze sind am Pfingstmontag in den engen Köngener Straßen Mangelware. „Wir müssen jedes Jahr im Schnitt 30 Autos abschleppen, weil die Rettungs- und Fluchtwege zugeparkt sind“, sagt Sigrid Handt.

Autor Ulrich Stolte ist Pfingstmarkt-Fan:

Wir sind aus Köngen und haben Hähnchen feil!“ Von den Hausierern, die früher von Köngen nach Plochingen kamen, hat meine Mutter vielleicht nicht ihr Verkaufstalent geerbt, aber ich von ihr. Beim Schwäbischen Fleiß in Wernau und beim Weihnachtsmarkt in Plochingen standen wir am Stand und vertickten Fleischbrühe. Sie zeigte mir, wie man Leute, die nur rumstehen und den Stand blockieren, diskret abwimmelt, wie man Kunden, die nur ein bisschen was kaufen, mehr andreht, und wie man immer schaut, dass so viele Menschen den Stand umringen, dass immer neue kommen, die gucken wollen, was es da so gibt. Seit dieser Zeit weiß ich, dass Verkaufen eine hohe Kunst ist, eine Mischung aus Psychologie, Betriebswirtschaft und Unverschämtheit.

Es geht am Marktstand nicht primär um die Ware, es geht um die Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer, um die stille Übereinkunft, es irgendwelchen unpersönlichen Großketten zu zeigen, und das Gefühl des Kunden, mit diesem Kauf in ökologisch-ökonomischer Hinsicht alles richtig gemacht zu haben. Das schafft kein Internet.

So treibe ich mich auf den Märkten dieser Erde herum und bewundere das Verkaufstalent der Händler: wie sie mir das Gefühl vermitteln, nur ich sei clever genug, die Vorteile ihres Produkts zu erkennen. Außerdem muss man ja auch was heimbringen, wenn man auf dem Markt war. Nie habe ich es bereut, zum Beispiel den Erwerb jener unglaublich praktischen Knoblauchpresse zum Drehen, ein unverzichtbares Küchenutensil, das ich garantiert immer noch habe – wenn ich nur wüsste, wo.

Autor Thomas Schorradt meidet die Menschenmasse auf dem Markt

Als auf den Köngener Pfingstmarkt, wie auch auf den anderen Märkten, noch Vieh gehandelt wurde, war das immer eine zwiespältige Sache. Zu leicht konnten Krankheiten und Viehseuchen ins Dorf geschleppt werden. Die Zeiten sind vorbei. Aufatmen können die Köngener trotzdem nicht. Jetzt hält die Blechlawine die Gemeinde zuverlässig jeden Pfingstmontag im Würgegriff. Auch ohne Vieh ist in den Straßen und Gassen tierisch was los.

Jeder verfügbare Platz im Neckartal ist zugeparkt, und über Land stehen die Autos Stoßstange an Stoßstange bis Denkendorf. Von dort nach Köngen ist es ein strammer Fußmarsch – und schon ist es sinnvoll, am Stand eines alpinen Wunderheilers die Murmeltiersalbe gegen wundgescheuertes Gehwerkzeug im Sechserpack zu kaufen. Den Zwiebel-Karotten-Gurken-Sellerie-Tomaten-Allesschneider gibt es zu diesem Preis auch nur an diesem einen Tag in Köngen. Obwohl, um der Wahrheit die Ehre zu geben: woanders gibt es ihn, wie die Salbe auch, an 365 Tagen im Jahr zu einem besseren Preis.

Möglich, dass der moderne, zu Hause und am Arbeitsplatz vereinsamte Mensch den Körperkontakt sucht. Doch um sich das Geschubse der 35 000 anzutun, noch dazu unter der olfaktorischen Zumutung einer von Bratwurst-Geruch und Sonnencreme-Variationen durchsetzten Duftglocke, muss die Verzweiflung groß sein.

Aufatmen kann erst, wer sich mit seiner Murmeltier-Beute in den Schutz seines Autos zurückgeschleppt hat. Die Freude am Jagderfolg währt 0,48 Sekunden. So lange dauert es, bis die Internet-Suchmaschine, mit dem Stichwort „Murmeltiersalbe“ gefüttert, 6100 Ergebnisse auswirft. . .