Betonpflastersteine halten wohl die Stickstoffwerte in Grenzen, weil ein chemischer Prozess Schadstoffe umwandelt. In Tübingen wird darauf gesetzt und das Pflaster erneuert.

Tübingen - Verbessern Steine tatsächlich die Luft? „Das aktive Betonpflaster hält Ihre Stickstoffwerte in Grenzen“, verspricht das Unternehmen Braun-Steine in einem Hochglanz-Prospekt. Doch so ganz genau wird man nie wissen, ob es den neuen Pflastersteinen rund um Tübingens Einkaufsviertel Zinserdreieck gelingt, die Schadstoffwerte zu senken. Und zwar weil die „Vorher“-Messung fehlt, wie Oberbürgermeister Boris Palmer einräumt. Zweifel wischt er mit einem einfachen Argument beiseite: „Wir haben ein Problem mit den Schadstoffwerten – wenn es dafür eine Lösung gibt, dann nutzt man sie, auch wenn man nicht sicher weiß, ob es etwas bringt“.

 

Zweifeln tritt der Tübinger Steine-Hersteller entgegen. „Das Fraunhofer-Institut hat in einem Langzeitversuch von mehr als 30 Tagen bestätigt, dass Airclean-Pflastersteine Stickstoffdioxid-Werte um durchschnittlich 23 Prozent verringern“, sagt der Geschäftsführer Thomas Aicheler. Bei Windstille und Sonneneinstrahlung seien Reduzierungsraten von bis zu 70 Prozent gemessen worden.

Das soll eine Photokatalyse bewirken, ein chemischer Vorgang, der durch das Sonnenlicht ausgelöst wird. Den Betonsteinen wird als Katalysator Titanoxid aufgetragen. Sonneneinstrahlung aktiviert das Titandioxid und wandelt das Stickstoffdioxid in den Pflanzennährstoff Nitrat um. „Das Nitrat ist ungefährlich und wird vom Regen abgewaschen“, sagt Aicheler. Dabei werde das Titanoxid nicht verbraucht, die Wirkung halte somit dauerhaft an.

Wenn die Methode tatsächlich auch in der Praxis einer vielgenutzten Verkehrsstraße spürbar zur Luftverbesserung beiträgt, wäre das gerade in Tübingen hochwillkommen. Denn die einige hundert Meter vom Zinserdreieck entfernte Mess-station in der Mühlstraße ermittelt besorgniserregende Schadstoffwerte. Werden die gestatteten Grenzwertüberschreitungen beim Feinstaub in diesem Jahr vermutlich eben eingehalten, liegen die Stickstoffdioxidwerte laut Palmer im Jahres-mittelwert um rund 50 Prozent darüber. Tempo 40 in der Innenstadt bringe eine Verbesserung von lediglich einem Prozent.

Als Referenz gilt Fulda: Hier hat es funktioniert

Vom Angebot der Firma Braun ließ er sich schon vor Monaten überzeugen. Es werden aber nicht alle der von Grund auf sanierten Straßen des Zinserdreiecks mit dem neuen Pflaster ausgestattet, sondern nur die Gehwege. Die sollen breiter und schöner werden, hochwertige Pflastersteine statt tristen Asphalts lautet das Mittel zum Zweck. „Im Wohnzimmer verlegt man auch Parkett und kein Linoleum“, sagt Palmer. Die Ausschreibung sah Steine in fünf Farbschattierung vor, von ganz hell bis ziemlich dunkel. Braun-Steine legten dem konventionellen Angebot noch ein Nebenangebot mit Airclean-Produkten bei. Beim ersten Bauabschnitt ohne Aufpreis. „Wir wollen ein Pilotprojekt in Süddeutschland“, betont der Geschäftsführer. Die Gehwege der drei Straßen um das Zinserdreieck umfassen 4500 Quadratmeter. Palmer wird sich dafür einsetzten, dass überall Airclean-Steine verwendet werden, auch wenn dies bei weiteren Bauabschnitten zu einem überschaubaren Aufpreis führt.

Der Hersteller nennt als Referenz nicht nur das Fraunhofer-Institut, sondern auch die Stadt Fulda. Dort wurden Steine bereits verlegt und eine Vorher-Nachher-Messung durchgeführt. „Es gab eine Reduktion“, berichtet Christoph Thalheim als weiterer Vertreter des Herstellers, „wenn auch nicht so hoch wie erwartet“.