Pflegende Angehörige sind der größte Pflegedienst im Land. Auch wegen strenger staatlicher Vorgaben mangelt es an Angeboten zu ihrer Entlastung.

Stuttgart - Zum Jahreswechsel verlieren pflegende Angehörige wieder bares Geld. Viele Familien müssen die ihnen aus der Pflegeversicherung zustehenden Entlastungsbeträge von monatlich 125 Euro abschreiben, da es sowohl zu wenige professionelle als auch ehrenamtliche Anbieter von Unterstützungsleistungen gibt. An diesem Montag verfallen die Ansprüche aus den Jahren 2015 und 2016. Die Guthaben aus dem Jahr 2017, mit denen man etwa haushaltsnahe Dienstleistungen bezahlen kann, sind bereits Mitte 2018 verfallen. Experten befürchten, dass sich die Lage 2019 verschärft. Denn zum Jahreswechsel läuft auch die Übergangsregelung des Landes für niedrigschwellige Unterstützungsangebote aus. Ehrenamtliche Anbieter müssen sich anerkennen lassen, was zeitaufwendige und teure Schulungen erfordert. Zudem darf ihre Aufwandsentschädigung den Einkommenssteuerfreibetrag von 2400 Euro nicht übersteigen.

 

Gabriele Reichhardt, Leiterin der Sozialplanung der Stadt Stuttgart, schlägt Alarm. „Wird die durch den Freibetrag gesetzte Grenze eingehalten, dürfen die ehrenamtlichen Nachbarschaftshelferinnen und -helfer entweder entsprechend weniger Stunden tätig sein oder die Höhe der Aufwandsentschädigung muss gesenkt werden“, sagt sie. Beide Maßnahmen seien „nicht akzeptabel“ angesichts des hohen Bedarfs an Unterstützungsleistungen und des gebotenen Schutzes der Ehrenamtlichen vor Ausbeutung. In Stuttgart gibt es 71 Angebote zur Unterstützung im Pflegealltag, 63 davon sind ehrenamtlich. Reichhardt erwartet, dass einige sich für 2019 nicht nach den neuen Regeln anerkennen lassen. „Dies würde dazu führen, dass Pflegebedürftige ihren Entlastungsbetrag nicht in Anspruch nehmen können, weil es zu wenig Angebote gibt“, so Reichhardt.

In allen Bundesländern laufen Petitionen

Alarmiert sind auch die pflegenden Angehörigen, von denen viele laut dem jüngsten Barmer-Pflegereport an der Belastungsgrenze arbeiten. In allen Bundesländern und auf Bundesebene laufen Petitionen für Verbesserungen beim Entlastungsbetrag. Mitinitiator Hendrik Dohmeyer fordert, die strengen Auflagen an ehrenamtliche Helfer zu überdenken. So müsse es möglich sein, auch Einzelpersonen als Anbieter anzuerkennen. Bei den Schulungen müsse ebenfalls abgespeckt werden.

Mit Blick auf die jüngst vorgelegte Pflegestatistik wirft der Bremer dem Landessozialministerium vor, den Bedarf an Unterstützungsleistungen unterschätzt zu haben. Tatsächlich waren laut der neuesten Statistik 2017 bereits 398 600 Menschen im Südwesten pflegebedürftig. Das Ministerium hatte diese Zahl erst für 2030 vorhergesagt, als es Anfang 2017 die neuen Auflagen für Unterstützungsangebote in Kraft treten ließ. Minister Manfred Lucha (Grüne) betonte, er halte an seinem Ziel fest, die ambulante Pflege zu stärken. Dazu bedürfe es weiterer Anstrengungen.