Das Münchinger Pflegeheim Spitalhof bereitet sich auf Bewohner mit Migrationshintergrund vor. Ein neues Konzept rückt kulturelle Besonderheiten in den Fokus, die im Pflegealltag beachtet werden sollen.

Korntal-Münchingen - Die Deutschen sind weltweit bekannt für ihre penible Pünktlichkeit. Zu einem Termin zu spät zu kommen gilt als No-Go. In anderen Ländern, etwa in Afrika oder im Mittelmeerraum, werden Verspätungen dagegen nicht so eng gesehen. Nicht nur zwischen Deutschen, Kenianer und Spaniern gibt es Unterschiede. Überall, wo Kulturen aufeinandertreffen, manifestieren sich neben Gemeinsamkeiten auch Gegensätze. Das Thema kulturelle Unterschiede wird, nicht zuletzt durch die älter werdenden Migranten in Deutschland, auch in der Pflege immer wichtiger. Im Spitalhof in Münchingen wird deshalb ein Konzept entwickelt, wie man den kulturellen Besonderheiten Rechnung tragen kann – und wie man überhaupt erfährt, welche Unterschiede es gibt.

 

Vor drei Jahren hat das Pflegeheim angefangen, sich mit dem Thema kultursensible Pflege zu beschäftigen. Dieser Ansatz hat das Ziel, die kulturellen Unterschiede zu kennen und sie in der Pflege zu beachten. Weil es einige griechische Bewohner gab, hat das Team im ersten Stock eine griechische Ecke eingerichtet – mit Trachten und Bildern. Derzeit leben nicht viele Bewohner mit Migrationshintergrund am Spitalhof. „Früher oder später werden die aber kommen“, sagt Jutta Kaltenegger. Die Pflegewirtin berät das Heim beim Thema kultursensible Pflege. In vielen Kulturen habe die Familie einen hohen Stellenwert, in muslimischen Familien etwa würden Angehörige in der Regel zuhause „oder nur ambulant“ gepflegt, sagt Kaltenegger. Die Pflegewirtin rechnet aber fest damit, dass sich auch dort die Familienverhältnisse früher oder später wandeln und dass daher mehr Senioren in das Heim kommen.

Wenn das der Fall ist, will der Spitalhof vorbereitet sein. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern, zwei Bewohnern und Kaltenegger als externer Expertin hat das Konzept „Mela“, kurz für „miteinander leben und arbeiten“, entwickelt. Im Moment läuft die erste Phase, in der es um die Mitarbeiter geht. Knapp 20 Prozent der rund 65 Beschäftigten im Spitalhof haben einen Migrationshintergrund, sie kommen aus so unterschiedlichen Ländern wie Ungarn, Nigeria oder Sri Lanka.

Diese Mitarbeiter berichten nun, wie sich die Kultur in ihrer Heimat von der deutschen unterscheidet – und was ihnen persönlich wichtig ist. „Wir wollen mehr über die jeweiligen Kulturen lernen“, sagt die Heimleiterin Patricia O’Rourke. Deshalb werden Kurzinterviews geführt. Eine, die diese Interviews leitet, ist Andrea Dittmar. „Viele haben sich geöffnet“, sagt die Betreuungskraft. „Und ich verstehe vieles besser.“ Etwa beim Thema Zeit: „Die Afrikaner sehen es lockerer mit der Pünktlichkeit.“ Es gehe nicht darum, einen Standard zu bedienen, sagt Jutta Kaltenegger, „sondern wir schauen, was die Personen jeweils möchten“. In Stereotype zu verfallen sei „eine große Falle“. Das, was die Mitarbeiter lernen, schlägt sich auch im Heimalltag nieder. „Für viele ist etwa der Namenstag wichtiger als der Geburtstag“, sagt O’Rourke. Deshalb bekommen ihre Mitarbeiter nun Glückwunschkarten zu beiden Anlässen. Im zweiten Schritt sollen die Erkenntnisse auf die Bewohner übertragen werden – auch, um die deutschen Bewohnern über jene mit Migrationshintergrund zu informieren. „Für viele waren die anderen eben anders“, sagt Otto Koblinger vom Förderkreis des Spitalhofs – auch hier mangele es bei vielen an interkultureller Kompetenz.