Auf Baden-Württemberg kommt ein erhebliches Defizit an Pflegepersonal zu. Besonders brisant ist die Lage in der Altenpflege.

Stuttgart - Baden-Württemberg wird den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und in der Pflegewirtschaft mit voller Wucht zu spüren bekommen, wenn nicht rasch und entschieden gegengesteuert wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC). Demnach verschärft sich der Mangel an Alten- und Krankenpfleger sowie an Ärzten in Baden-Württemberg in den kommenden 18 Jahren deutlich stärker als im vergleichbar wirtschaftsstarken Nachbarland Bayern.

 

Ohne Kurswechsel werden laut PwC im Jahr 2030 in Baden-Württemberg mehr als 60.000 ausgebildete Pfleger und Ärzte fehlen. Damit wäre jede fünfte Stelle im Südwesten unbesetzt. Zum Vergleich: auch Bayern bekommt im Gesundheitswesen Probleme, jedoch geringere. Laut PwC-Prognose dürfte in dem Freistaat jede siebte Stelle unbesetzt bleiben.

In 18 Jahren werden in Baden-Württemberg demnach 11.000 Ärzte fehlen. Heute sind 2800 Stellen unbesetzt. Innerhalb des Arztberufes wird es laut Studie stark unterschiedliche Entwicklungen geben. Während sich der Mangel in der Allgemeinmedizin von heute 2700 auf dann 6700 mehr als verdoppelt, verschlechtert sich bei den Fachärzten die Situation sogar mit dem Faktor 43: fehlen heute "nur" 100 Fachärzte, werden dann 4.300 Facharztstellen unbesetzt bleiben.

Altenpfleger, Augen- und HNO-Ärzte besonders gesucht

"Insbesondere in den Jahren 2025 bis 2030 werden in Baden-Württemberg sehr viele Ärzte in den Ruhestand gehen", sagt PWC-Gesundheitsexperte Michael Burkhart. Am häufigsten werden laut PwC voraussichtlich Hals-Nasen-Ohren-Ärzte gesucht werden, gefolgt von Augenärzten. Burkharts naheliegender Rat - insbesondere mit Blick auf Abwanderungen in die Schweiz: "Wir müssen die Fachärzte im Land halten und dafür sorgen, dass mehr junge Menschen Medizin studieren."

Im Pflegebereich spannt sich die Lage besonders in der Altenpflege an. Fehlen hier heute noch 1800 examinierte Fachkräfte, so sollen es laut PwC in 18 Jahren schon 22.900 sein. Der ungedeckte Bedarf an Krankenpflegern wird mit 29.000 im Jahr 2030 zwar noch größer sein, die Entwicklung verläuft hier jedoch weniger dynamisch, fehlen doch heute schon im Südwesten 15.000 Krankenpfleger.

Trotz einer dramatischen Entwicklung sieht PwC-Gesundheitsexperte Burkhart gute Chancen, den sich verschärfenden Mangel ohne externe Hilfe mildern zu können. Im Pflegebereich schielt der Wirtschaftsberater auf die Fachkräfte, die nach der Ausbildung - oft aus Frustration über die Arbeitsbedingungen in der Pflege - den Beruf gewechselt haben. Altenpfleger verlassen im Schnitt schon nach acht Jahren ihren Ausbildungsberuf, Krankenpfleger nach zwölf Jahren.

Bessere Arbeitsbedingungen für Altenpfleger

"Es muss gelingen, die stille Reserve zu heben", sagt Burkhart und empfiehlt Naheliegendes: "Dazu müssen sich die Arbeitsbedingungen verbessern." In der Pflege gehe es in erster Linie weniger um eine bessere Entlohnung, sondern vielmehr um mehr Freiräume und weniger zeitlichen Stress und eine Entschlackung der Aufgaben. Gerade weil Berufsstarter sich meist aus ethischen und weniger aus wirtschaftlichen Motiven für diese Ausbildung entschieden, müsse das Berufsbild überprüft und dringend neu justiert werden.

"Der Alltag scheint mit zu viel Büroarbeit belastet zu sein", sagt Burkhart. Pfleger kämen zu häufig zum Schluss, "das, was ich machen muss, ist nicht das, warum ich den Beruf ursprünglich ergriffen habe."

Dass ausgerechnet eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft jetzt zu einem aus Mitarbeitersicht naheliegenden Schluss kommt, überrascht. Besonders, weil die PwC-Ökonomen die nachgeordneten Fragen der Finanzierung nicht in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellen. Burkhart räumt ein, dass sich vor dem Hintergrund knapper Mittel insgesamt die Frage stellen wird, "ob wir das System so belassen können". Der PwC-Partner sagt: "Vielleicht stehen wir hier vor einer Grundsatzentscheidung, die politisch gelöst werden muss."