Eine Umfrage enthüllt wachsenden Unmut über fehlende Pflegereformen. Im September könnten auf Heimbewohner höhere Kosten zukommen.

Eine überwiegende Mehrheit der Führungskräfte in der Altenpflege ist mit der Pflegepolitik in Deutschland unzufrieden. Das ergab eine Befragung von bundesweit fast 1600 Leitern und Leiterinnen von Alten- und Pflegeheimen durch die Evangelische Heimstiftung und den Fachverlag Vincentz Network, deren Ergebnisse am Dienstag in Berlin vorgestellt worden sind. Laut dem vierten Altenpflegebarometer – wie die Studie heißt – sind 84 Prozent der Befragten mit der Altenpflegepolitik auf Bundesebene unzufrieden.

 

Lauterbach wird Untätigkeit attestiert

Der Unmut konzentriert sich laut Bernhard Schneider, dem Geschäftsführer der Heimstiftung, zum einen auf die Reformen von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), aber auch auf die Untätigkeit von dessen Nachfolger Karl Lauterbach (SPD). Das von Spahn auf den Weg gebrachte Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) sei „nicht die richtige Antwort“ gewesen auf die Herausforderungen der Pflege, so Schneider. 80 Prozent halten es für verfehlt.

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„Das Gesetz bringt gar nichts, es sollte weg“, sagte Schneider. So sei die dort verankerte Tariftreue für die Heime ja im Prinzip richtig, die Umsetzung zum 1. September aber sei „viel zu bürokratisch“ und sollte verschoben werden . In einigen Regionen wird erwartet, dass der von den Bewohnern zu zahlende Eigenanteil an den Heimkosten „durch die Decke“ gehen werde. Auf der Pressekonferenz genannte Beispiele für erwartete Preissprünge in Brandenburg von 20 Prozent für Heimbewohner nannte Schneider realistisch. Das werde für „Frust“ sorgen. Nicht betroffen sind Heime – etwa die der Heimstiftung – die bereits nach Tarif zahlen. Viele Heime in privater Trägerschaft – so heißt es – könnten betroffen sein.

Mangel an Pflegekräften setzt sich „ungebremst“ fort

Hohe Werte der Unzufriedenheit erreichten auch die prozentualen Leistungszuschläge, die Spahn eingeführt hatte, um Pflegebedürftige vor einer finanziellen Überlastung zu schützen. Der Effekt verpuffe, hieß es, 70 Prozent der Befragten waren damit unzufrieden. Auch der neue bundeseinheitliche Personalschlüssel stößt auf wenig Gegenliebe – 84 Prozent missbilligten ihn. Nach wie vor drückt die Branche der Mangel an Pflegekräften – der setze sich „ungebremst“ fort. Nur ein Drittel der Führungskräfte ist mit der Personalsituation in seiner Einrichtung zufrieden. Dass sich die Lage durch Kräfte aus dem Ausland verbessern könne, glaubt nur jeder fünfte. Schneider berichtete, dass oft bürokratische Hürden die Einstellung von Ausländern erschwere. So habe sich eine seiner Heimleiterinnen ein Strafverfahren eingehandelt, weil sie einen Syrer, dessen Aufenthaltsstatus nur die Ausbildung zur Hilfskraft gestattet hätte, versehentlich als Azubi gemeldet hatte.

Enttäuschung über fehlende Pflegereform

Von Minister Lauterbach erwarten die Befragten laut Altenpflegebarometer nicht viel. „Er ist Arzt und Virologe, er hat keine Kompetenz für die Pflege und legt auch seinen Fokus nicht darauf“, sagte Schneider,das glaube eine Mehrheit. Auch seien 72 Prozent der Ansicht, dass Lauterbach „keine Kraft für die politische Umsetzung von Reformen habe“. Es sei ja schon bemerkenswert, wie „flehentlich“ Lauterbach im Bundestag für die allgemeine Impfpflicht geworben habe. Es sei enttäuschend, so Schneider, dass Lauterbach nach einem halben Jahr im Amt „nicht einmal den Prozess für einen große Pflegereform angestoßen habe“. Auch die Spitze des Dachverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte Lauterbach vor einer Woche in Berlin Passivität vorgeworfen.

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Ein kleines Lob in der Umfrage war immerhin in dem Part versteckt, der sich mit der Corona-Pandemie befasste. 73 Prozent der Heimmanager sagen, dass sie mit dem Rettungsschirm der Bundesregierung in der Pandemie zufrieden waren, er habe Sicherheit in der Krise gegeben. 63 Prozent lehnten die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab. Die mache nur Sinn, so Schneider, wenn es auch die allgemeine Impfpflicht gebe: „Zehn bis 14 Tage nach einer Infektionswelle draußen kommt sie doch in unsere Heime.“