Der Pforzheimer OB Gert Hager setzt große Hoffnungen in den Masterplan zur Stadtentwicklung, bei dem die Bürgerbeteiligung im Mittelpunkt steht.  

Pforzheim - Mit Offenheit, Transparenz und einer weit gehenden Beteiligung der Bürger an der Entwicklung einer Leitlinie für die Stadtpolitik der nächsten 15 bis 20 Jahre ist es dem Oberbürgermeister Gert Hager (SDP) offenbar gelungen, die depressive Stimmung in Pforzheim aufzuhellen. "Die Bürger bruddeln deutlich weniger", sagt der OB. Was ihm jedoch noch wichtiger ist als dieser Stimmungswechsel: er nimmt an, dass der Masterplan Pforzheim, der umfassende Stadtentwicklungsprozess, das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung zurückbringt.

 

Vor gut zwei Jahren, mitten in der Krise, als der Stadt Steuerausfälle von 50 Millionen Euro für 2010 und noch mal so viel für 2011 drohten, als der mögliche Verlust der verhängnisvollen Zinswetten auf bis zu 77,5 Millionen beziffert wurde, war die Wut der Bürger groß, das Vertrauen in die Stadtverwaltung nachhaltig gestört, erinnert sich der Oberbürgermeister. Hager war im Frühjahr 2009 gewählt worden, die verlustreichen Zinsgeschäfte hatten die frühere Kämmerin und die Ex-OB Christel Augenstein (FDP) gemeinsam getätigt.

Der neue OB aber wollte nicht nur den Mangel verwalten und aufgrund leerer Kassen den Stillstand ausrufen, sondern die Zukunft der Stadt gestalten. Die Bürger sollten dabei mitreden, ihre Ideen und ihr Wissen einbringen. Da die Bürgerbeteiligung bei ähnlichen Projekten - etwa bei der Lokalen Agenda oder beim Stadtentwicklungsprozess Step 2020 - "im stillen Kämmerlein" versandet war, sollte der Masterplanprozess offen, transparent und ohne Vorauswahl der Bürger vonstattengehen.

Pforzheim baut die Bildungspolitik auf

Das war Hager ebenso wichtig wie zu gewährleisten, dass Ergebnisse tatsächlich umgesetzt werden. Es habe ihn sehr gefreut, dass sich der Gemeinderat, der letztlich entscheiden wird, auf dieses Verfahren eingelassen habe. Für die Jahre 2011 und 2012 wurden bereits 250.000 Euro ausgegeben, optional stehen weitere 100.000 Euro zur Verfügung.

Rund 1000 Bürger hatten sich an den sechs zweitägigen Zukunftswerkstätten beteiligt, Ziele und Projekte diskutiert und festgelegt. Diese werden nun in Arbeitsgruppen mit Experten und nominierten Bürgervertretern abgeglichen und dem Gemeinderat vorgestellt. Dieser Prozess ist für die drei Handlungsfelder Wirtschaft, Arbeit und Finanzen, Bildung und Entwicklungschancen sowie Miteinander und Teilhabe abgeschlossen. 130 Projekte wurden vorgeschlagen, zehn hat der Gemeinderat jetzt herausgefiltert, die kurzfristig realisiert werden könnten.

Ein Bildungsbüro zählt beispielsweise dazu. Bei 37 Schulen und mehr als 400 außerschulischen Bildungsangeboten in der Stadt habe "keiner den Überblick", sagt der OB. Ein Netzwerk sei wichtig, um Angebote zu bündeln, Akteure zusammenzuführen und die Bildungspolitik aktiv weiterzuentwickeln. Unabhängig vom Votum der Bürger mache die Stadt bereits einen ersten Schritt. Ein Bildungsserver sei im Ausbau, der über Suchfunktionen etwa Realschülern aufzeigt, welche weiterführenden Schulen es gibt und welche Möglichkeiten sie nach der mittleren Reife haben.

Ideen der Bürger sind willkommen

Eine weitere Idee sei ebenfalls bereits aufgegriffen, führt Hager aus. Bisher verließen "95 Prozent der Hochschulabsolventen mit dem Tag ihres Zeugnisses Pforzheim". Mit der Initiative " Stay" werde versucht, Arbeit suchende Absolventen und Arbeitskräfte suchende Unternehmen zusammenzubringen. "Das fängt richtig gut an", sagt Hager erfreut, die entsprechende Stelle an der Hochschule werde finanziert von der Stadt, dem Enzkreis, der Sparkasse und von Wirtschaftsverbänden.

Über diese Projekte und die, die aus den anderen Handlungsfeldern noch benannt werden sollen, können die Bürger abstimmen. Auch hier sei also die weitere Beteiligung gesichert, erklärt der OB. Den Bürgern solle damit gezeigt werden, "dass wir ihre Ideen ernst nehmen". Zumal bis zur Verabschiedung des endgültigen Masterplans aufgrund weiterer Beratungen im Gemeinderat und der Debatte mit Bürgern in einer Zukunftskonferenz im Oktober noch einige Zeit vergehen werde.

Dieser Bürgerbeteiligungsprozess hat Sogwirkung gezeigt. Der gemeinnützige Beschäftigungsträger Q-Print&Service veranstaltete eine eigene Zukunftswerkstatt, um Langzeitarbeitslosen mit besonderen Handicaps zu hören, denen das Selbstbewusstsein für eine Teilnahme am Masterplanprozess fehlt. Deren Forderungen - etwa bezahlbare Wohnungen, mehr Grün in manchen Stadtteilen - werden ebenfalls in den Masterplan aufgenommen, sagt der OB.

Vorbild für aktive und moderne Bürgerbeteiligung

Die offene, umfangreiche und kontinuierliche Form der Bürgerbeteiligung mit dem Masterplan sei bundesweit einmalig, betont der OB. Die Stadt habe damit die Weichen für eine neue Bürgerbeteiligungskultur gestellt. Deshalb hat Hager auch den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf diesen Prozess aufmerksam gemacht.

Mehr Bürgerbeteiligung sei einer der Leitgedanken der grün-roten Landesregierung. Insofern würde es ihn freuen, schrieb Hager, wenn das Land Baden-Württemberg Pforzheim als "modellhafte Stadt für moderne und aktive Bürgerbeteiligung" ansehen würde, um "gemeinsam Bürgerwillen in Baden-Württemberg umzusetzen". Die Antwort aus dem Staatsministerium steht noch aus.

Die Stadtentwicklung als Masterplan

Themen Bürger diskutieren die politische Leitlinie der Stadt für sechs Handlungsfelder: Wirtschaft, Arbeit und Finanzen; Bildung und Entwicklungschancen; Miteinander und Teilhabe; Mobilität; Stadtbild und Wohnen; Natur und Kultur.

Organisation Der Pforzheimer Masterplan ist eine ergebnisoffene Bürgerbeteiligung: In der Zukunftswerkstatt (abgeschlossen) wurden Ziele und Maßnahmen der Handlungsfelder erarbeitet. Zurzeit gleichen Bürger und Experten diese Ziele ab, der Gemeinderat berät über das Ergebnis und beschließt einen ersten Entwurf des Masterplans, der wiederum mit Bürgern in einer Zukunftskonferenz (geplant im Oktober 2012) abgestimmt wird. Dann erst wird der Masterplan beschlossen.

Ergebnis Kurzfristig realisierbare Projekte will der Gemeinderat nicht aufschieben. Zehn Ideen wurden herausgefiltert, die Bürger sollen via Internet und Telefon abstimmen, welche zuerst umgesetzt werden sollen, zum Beispiel die Öffnung der Sporthallen in den Ferien; ein Bildungsbüro, die Vernetzung von Schulen und Unternehmen; Internetplattform für Stadtteilangebote.