Fünf Konzerne dominieren den Pharmagroßhandel – und buhlen mit hohen Rabatten um Kunden. Der neue Discount-Konkurrent AEP könnte die Preisschlacht weiter anheizen.

Stuttgart - „D ieses Medikament haben wir leider nicht da“, sagt die Apothekerin zu der älteren Dame, die am späten Vormittag ihr Rezept über den Tresen reicht. „Ich kann es Ihnen aber bis 15 Uhr besorgen“, fügt die Pharmazeutin hinzu. Alltag in einer deutschen Apotheke. Dass praktisch jede Arznei binnen weniger Stunden an jeden Ort der Republik geliefert werden kann, ist der ausgefeilten Logistik des Pharmagroßhandels zu verdanken. Als Normalbürger kommt man mit dieser Branche mit immerhin rund 75 000 Beschäftigten höchstens in Kontakt, wenn man auf der Straße einem Lieferwagen mit der Aufschrift „Eilige Arzneimittel“ begegnet. Bis zu fünf Mal am Tag steuern etwa die Fahrzeuge des Stuttgarter Grossisten Gehe aus dem Celesio-Konzern eine Apotheke an, um Nachschub zu bringen.

 

5 Geschäfte haben einen Marktanteil von 90 Prozent

Dominiert wird das Geschäft von fünf Unternehmen, die zusammen auf einen Marktanteil von rund 90 Prozent kommen – es handelt sich also um ein Oligopol. Marktführer in Deutschland ist Phoenix in Mannheim, Teil der Ulmer Merckle-Gruppe. Dahinter rangieren die Genossenschaft Noweda, Alliance Healthcare Deutschland, die Celesio-Tochter Gehe sowie Sanacorp. Zusammen betreiben die großen fünf in ganz Deutschland etwa 120 Niederlassungen, aus denen sie die bundesweit rund 21 000 Apotheken beliefern.

Angesichts der Größenverhältnisse – fünf Großhändler stehen Tausenden Apotheken gegenüber – könnte man den Eindruck gewinnen, dass die großen fünf über eine große Marktmacht verfügen. Ein Blick in die Geschäftsberichte spricht eine andere Sprache. Die Margen stehen massiv unter Druck, Umsatzrenditen von deutlich unter einem Prozent sind die Regel. Nicht nur der Marktführer Phoenix reagiert darauf mit Sparprogrammen.

In der Pharmabranche zählen gesundheitspolitische Vorgaben

Die Gehe-Mutter Celesio schrieb im vergangenen Jahr sogar rote Zahlen und musste für das laufende Jahr eine Gewinnwarnung herausgeben. Bei Celesio kamen zu den allgemeinen Branchenproblemen noch die Kosten der strategischen Neuausrichtung, die mit dem Verkauf einst teuer erworbener Beteiligungen einherging. Angesichts der schwierigen Lage ist zuletzt mehrfach über Kooperationen von Celesio mit US-Wettbewerbern oder gar einen kompletten Verkauf der Tochter des Familienkonzerns Haniel spekuliert worden. Im Gegensatz zum normalen Großhandel folgt das Geschäft der Pharmagrossisten in Deutschland weniger den Regeln der Marktwirtschaft als vielmehr gesundheitspolitischen Vorgaben. Und die laufen auch im Pharmabereich meist auf Einsparungen hinaus. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten, die den Großteil der Umsätze ausmachen, setzt die Regulierung bereits beim Hersteller an: Der Preis, zu dem er ein Produkt an den Großhandel abgeben darf, wird vom Staat festgesetzt. Preisverhandlungen sind also zwecklos.

Streng reglementiert ist auch der zulässige Aufschlag auf den Einkaufspreis. Aktuell erhalten Großhändler für jede verkaufte Packung ein Fixum von 70 Cent sowie einen variablen Zuschlag von 3,15 Prozent des Herstellerabgabepreises, der aber bei 37,80 Euro gedeckelt ist. Insgesamt kann ein Grossist auf eine Packung also höchstens 38,50 Euro aufschlagen. Vor der letzten Reform Anfang 2012 gab es abgestufte prozentuale Vergütungen, die erst bei 72 Euro gedeckelt waren. Nach Angaben des Branchenverbandes Phagro lag der Großhandelsaufschlag für verschreibungspflichtige Arznei 2012 bei durchschnittlich fünf Prozent. Vor zehn Jahren war die Handelsspanne mit gut zwölf Prozent noch mehr als doppelt so hoch.

Teilweise drücken Händel den Rabatt unter das erlaubte Maß

Gestaltungsspielraum haben die Großhändler bei den Rabatten, die sie den Apotheken gewähren. Nur der fixe Anteil der Großhandelsvergütung ist von Preisnachlässen ausgeschlossen. Dagegen können Händler im Extremfall ganz auf den variablen Aufschlag von 3,15 Prozent verzichten. Und von dieser Möglichkeit machen einige offenbar tatsächlich Gebrauch. Teilweise gehen die Rabatte sogar über das erlaubte Maß hinaus. Es gebe „flächendeckend Konditionen, die nicht mehr den Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung entsprechen“, klagte Thomas Trümper, Chef von Alliance Healthcare Deutschland, im Sommer. Neben den Rabatten auf den Warenwert ist es zudem üblich, den Apotheken hohe Skonti einzuräumen.

Besserung ist kaum in Sicht. „Die Rabattschlacht geht leider weiter. Die Rabatthöhe hat sich aber erstmals stabilisiert“, sagte die Celesio-Chefin Marion Helmes vergangene Woche in einem Interview. Die Rabatte führten dazu, „dass offenbar im deutschen Markt kein Großhändler mehr Geld verdient“. Auch die Wettbewerber klagen über den ruinösen Preiskampf – bei dem sie selbst kräftig mitmischen. Freuen können sich dagegen die Apotheker, die nach internen Angaben durch die Rabattschlacht allein in diesem Jahr gut 500 Millionen Euro sparen dürften. Für den einzelnen Großhändler zahlen sich hohe Rabatte dagegen kaum aus. Nach früheren Preisrunden hätten sich die Marktanteile in der Regel bald wieder in der Nähe der ursprünglichen Werte eingependelt, sagen Branchenkenner.

Wachstum geht nur durch Kunden Wegschnappen

Dass der Markt kaum wächst, erhöht den Wettbewerbsdruck zusätzlich. Im vergangenen Jahr setzte der deutsche Pharmagroßhandel 25,3 Milliarden Euro um. Davon entfielen rund vier Fünftel auf verschreibungspflichtige Arznei. Ein einzelner Anbieter kann in der derzeitigen Marktsituation nur wachsen, indem er den anderen Kunden wegschnappt. Entsprechend misstrauisch beäugen sich die großen fünf, deren Lager an manchen Standorten fast nebeneinander liegen. Wenn sich einer zurückzieht, wandern die Apotheken in dieser Region zwangsläufig zur Konkurrenz ab. Wer sich zuerst bewegt, verliert.

„Die etablierten Großhändler sind in diesem System gefangen“, sagt Markus Eckermann, der mit Jens Graefe angetreten ist, um den Wettbewerb weiter anzuheizen. Die beiden Ex-Celesio-Manager sind Geschäftsführer des neuen Pharmagroßhändlers AEP Direkt, der Anfang Oktober mit der Belieferung der ersten Apotheken begonnen hat. Eckermann gehörte zu den ersten Celesio-Führungskräften, die nach dem Antritt des umstrittenen, bereits nach knapp zwei Jahren wieder gefeuerten Konzernchefs Markus Pinger das Unternehmen verließen. AEP ist eine Art Discount-Pharmagroßhändler. Statt auf viele, über ganz Deutschland verteilte Standorte setzt des Unternehmen auf ein Zentrallager, das verkehrsgünstig im unterfränkischen Alzenau am Rande des Rhein-Main-Gebiets liegt. Von dort werden Apotheken in ganz Deutschland angefahren – aufgrund der längeren Wege nicht mehrmals, sondern nur einmal am Tag.

AEP hat keinen eigenen Fuhrpark, sondern greift auf die Dienste von Transoflex zurück. Das Logistikunternehmen beliefert bereits Apotheken und ist eine Tochter der österreichischen Post, die mit einem Anteil von 44 Prozent auch Hauptkapitalgeber von AEP ist. Die internen Kosten, die im Branchendurchschnitt bei fünf Prozent des Umsatzes und mehr liegen, seien daher deutlich niedriger, sagt Eckermann, ohne Zahlen zu nennen.

Die Rabatte der Großhändler sind kaum nachvollziehbar

Dafür ist der Komfort für die Apotheker nicht so hoch wie bei der etablierten Konkurrenz. Wegen der geringeren Zahl von Touren müssen die Pharmazeuten Einkauf und Lagerhaltung genauer planen – und den einen oder anderen Kunden auf den nächsten Tag vertrösten. „Wir konzentrieren uns auf das, was für Apotheker wesentlich ist“, sagen Eckermann und Graefe. Das Mittel, mit dem sie den großen fünf Kunden abjagen wollen, kommt einem indes bekannt vor: hohe Rabatte. Doch im Gegensatz zu den Wettbewerbern könne AEP „aufgrund seiner durch die Strukturen gegebenen Kostenvorteile auch auf dem derzeitigen Rabattniveau Geld verdienen“, versichern die beiden Chefs.

Profilieren will sich AEP nicht nur durch die Höhe der Rabatte, sondern auch durch deren übersichtliche Gestaltung. Unter Apothekern herrsche großer Unmut über die komplizierten Abrechnungen der Großhändler, sagt Graefe und verweist auf aktuelle Umfragen. Als Beispiele nennt er unterschiedliche Rabattsätze für verschiedene Produkte und Bestellmengen oder den Ausschluss bestimmter Medikamente von Rabatten und Skonti. Das sei für die Kunden kaum nachvollziehbar. Viele Apotheker bräuchten sogar teure Berater, um ihre Rechnungen zu überprüfen, erzählt Graefe. Um die Einfachheit ihrer Konditionen zu demonstrieren, haben die AEP-Chefs sie werbewirksam auf einen Bierdeckel gedruckt. Mit dem Start des Unternehmens zeigen sich Eckermann und Graefe sehr zufrieden. Die Kundenzahl liege „im deutlich dreistelligen Bereich“. Welchen Marktanteil sie anpeilen, wollen sie nicht sagen. Beschäftigt werden derzeit gut 50 Mitarbeiter.

Die etablierten Großhändler räumen dem neuen Wettbewerber zumindest nach außen hin keine großen Chancen ein. „Wenn der Markt auf so ein Angebot gewartet hätte, würde es das längst geben“, sagt ein Branchenvertreter. Die meisten Apotheker seien von ihren Großhändlern ein hohes Serviceniveau gewöhnt, bei dem sie nur ungern Abstriche machen würden. Und Celesio-Chefin Helmes beteuert: „Wir haben keine Angst vor AEP.“ Barbara Ambrus, Analystin bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), hält es dagegen durchaus für möglich, dass aus dem Newcomer ein ernst zu nehmender Konkurrent werden könnte. Vielen Apotheken gehe es „nicht mehr so blendend“. Da könnte sich so mancher Pharmazeut über Einsparmöglichkeiten im Einkauf freuen. Egal, wie das Experiment AEP ausgeht: der Preisdruck bleibt hoch – und damit auch der Zwang zu Kooperationen, Übernahmen oder Zusammenschlüssen.

Bedeutung:
Der Großhandel ist das Bindeglied zwischen Pharmaindustrie und Apotheken. Nur 16 Prozent der Medikamente in Deutschland werden direkt von den Herstellern an Apotheken verkauft.

Dienstleistungen:
Weil die Margen im Großhandel unter Druck stehen, suchen viele Unternehmen nach zusätzlichen Geschäften. Dazu gehören etwa Dienstleistungen für Pharmahersteller oder Apotheker. Bei Celesio in Stuttgart ging diese Strategie nicht auf. Die Logistiksparte Movianto und der Leihaußendienst Pharmexx fuhren hohe Verluste ein und wurden verkauft.

Apotheken:
Einige Großhändler betreiben neben dem Kerngeschäft – der Belieferung von Apotheken – selbst Apotheken. So hat Celesio knapp 2200 eigene Apotheken, 1600 davon werden in Großbritannien unter der Marke Lloydspharmacy geführt. Da in Deutschland Apothekenketten verboten sind, setzen die Großhändler hier auf Partnerschaften mit Apotheken.

Kooperationen:
Der harte Wettbewerb lässt viele Unternehmen enger zusammenrücken. So stieg die US-Drogeriekette Walgreens 2012 mit 45 Prozent bei der britischen Alliance Boots ein, zu der auch Alliance Healthcare Deutschland gehört. Bei Celesio wurde zuletzt über den Verkauf an den US-Konkurrenten McKesson spekuliert.