Auch Baden-Württemberg bekommt die Sparzwänge in den Gesundheitssystemen zu spüren. Der Verteilungskampf wird in Zukunft härter werden.
Stuttgart - Mehrmals lässt der Mann im weißen Laborkittel den Glaskolben mit Schwung auf das Gummikissen heruntersausen. Die Flüssigkeit im Inneren wird dabei kräftig durcheinandergewirbelt. Auf einem Monitor über dem Labortisch kann man lesen, was hier produziert wird: "Ruta graveolens D4" - Weinraute in einer Verdünnung von 1:10.000. Auch an den benachbarten, durch Scheiben vom Gang abgetrennten Arbeitsplätzen sind Weißkittel mit dem Befüllen und Schütteln von Glasgefäßen unterschiedlicher Größe beschäftigt.
"Alle flüssigen Homöopathika werden bei uns von Hand verschüttelt", sagt Harald Orth, Leiter Pharmazie und Herstellung bei der Deutschen Homöopathie-Union (DHU) in Karlsruhe. Dieser Methode hat sich bereits der Homöopathie-Erfinder Samuel Hahnemann (1755-1843) bedient. Maschinen könnten die Prozedur wohl kostengünstiger erledigen, doch bei der DHU setzt man beim Verdünnen und Verschütteln der Präparate auf traditionelle Handarbeit.
Hoher IT-Aufwand
Bei anderen Teilen des Herstellungsprozesses haben die Karlsruher keine Berührungsängste gegenüber moderner Technik. So wird jeder Arbeitsschritt für jede Charge in einer Datenbank hinterlegt. Das bringt einen hohen IT-Aufwand mit sich, denn aus rund 1400 Ausgangsstoffen werden bei der DHU bis zu 420.000 Präparate hergestellt, wobei das Standardsortiment etwa 14.000 Homöopathika umfasst, die immer am Lager sind.
"Wir haben den Leuten von SAP und unseren eigenen IT-Spezialisten einiges Kopfzerbrechen bereitet", erinnert sich Orth. Die Software der Walldorfer war standardmäßig darauf ausgelegt, maximal 5000 offene Fertigungsaufträge gleichzeitig zu erfassen. "Bei uns können das aber auch mal 8000 sein", sagt der Pharmazeut. Auch die Mengen variieren gewaltig - von einer einzigen Packung für ganz spezielle Therapiewünsche bis hin zu homöopathischen Blockbustern wie Arnika, Kamille oder Belladonna, von denen Zigtausende Packungen benötigt werden.
Erlöse verdoppelt
Ungeachtet der immer wieder aufkommenden Debatte über die Wirksamkeit der Homöopathie verzeichnet das Unternehmen kontinuierlich Umsatzzuwächse. In den letzten 20 Jahren haben sich die Erlöse in etwa verdoppelt. Heute kommt die DHU mit knapp 500 Mitarbeitern auf einen Jahresumsatz von 100 Millionen Euro. "Wir haben kein Interesse an explosionsartigen Wachstumsraten, sondern an solider Entwicklung", sagt Geschäftsführer Franz Stempfle. Zuletzt verzeichneten die Karlsruher, die sich als Marktführer in Deutschland bezeichnen, jährliche Zuwächse zwischen einem und drei Prozent.
Am Anfang der Produktion steht die "Urtinktur" - ein meist durch Extraktion mit Alkohol gewonnener Pflanzenauszug. Dieser wird in einem oder mehreren Durchgängen mit der entsprechenden Menge hochreinen Wassers verdünnt und verschüttelt. Neben Pflanzen werden auch mineralische Ausgangsstoffe wie Silizium oder Magnesium eingesetzt. Nach der für naturwissenschaftlich geprägte Menschen befremdlich klingenden Theorie Hahnemanns wirkt ein homöopathisches Mittel umso stärker, je höher es verdünnt wurde.
Selbstmedikation dominiert
Stempfle sieht für die Hersteller von Homöopathika, von denen es im Südwesten besonders viele gibt, weiter gute Perspektiven - trotz des Sparzwangs im Gesundheitswesen. "Die Akzeptanz der Homöopathie in der Bevölkerung hat zugenommen und wird weiter zunehmen", sagt der DHU-Chef und verweist auf Umfragen. Dass die gesetzlichen Kassen homöopathische Arznei seit 2004 in der Regel nicht mehr zahlen, habe der Entwicklung keinen Abbruch getan. "Dass die Erstattung von der Politik gestrichen wurde, hat uns nicht überrascht", so Stempfle.
Schon damals habe bei Homöopathika die Selbstmedikation dominiert, die mittlerweile gut 80 Prozent der Umsätze bringt. Wichtigste Darreichungsform sind sogenannte Globuli - Zuckerkügelchen, die mit dem gewünschten Präparat versetzt wurden. Dass die Mittel relativ günstig und ungefährlich in der Anwendung sind, erleichtert die Eigeninitiative der Homöopathie-Anhänger.
Zwangsrabatt auf verschreibungspflichtige Medikamente
Hagen Pfundner sieht die Auswirkungen der Gesundheitspolitik nicht ganz so gelassen wie der DHU-Chef Stempfle. Vom Besprechungszimmer aus blickt der Geschäftsführer der Roche Deutschland Holding in Grenzach am Rhein über ein Campus-ähnliches Gelände. Hier hat der Schweizer Pharmakonzern neben Marketing und Vertrieb für den deutschen Markt auch die Qualitätssicherung und die Betreuung klinischer Studien konzentriert. Gegenüber produziert der niederländische DSM-Konzern in großem Stil Vitamine - in einem Werk, das früher ebenfalls zu Roche gehörte.
Der deutsche Markt sei schwieriger geworden, meint Pfundner. "Das Arzneimarktneuordnungsgesetz (Amnog - d. Red.) kostet uns allein dieses Jahr rund 200 Millionen Euro", sagt der Manager. Die seit 1. Januar geltende Regelung schreibt Herstellern verschreibungspflichtiger Medikamente einen Zwangsrabatt von 16 Prozent vor. Da die Roche-Pharmasparte ausschließlich auf diesem Feld tätig ist - Schwerpunkte sind Mittel gegen Krebs sowie virale und andere Infektionskrankheiten - schlägt der Zwangsrabatt voll auf die Erlöse durch.
Bedeutung der asiatischen Märkte nimmt zu
So musste Pfundner für die ersten drei Quartale 2011 einen Umsatzrückgang im hiesigen Pharmageschäft von sieben Prozent an den Mutterkonzern melden, dessen Baseler Zentrale sich wenige Kilometer flussabwärts befindet. Pfundner räumt aber ein, dass auf den deutschen Markt nur zwischen fünf und sieben Prozent des Roche-Gesamtumsatzes mit Arzneimitteln und Diagnostika entfallen. Dagegen nehme die Bedeutung der asiatischen und südamerikanischen Märkte zu - mit jährlichen Zuwächsen im zweistelligen Prozentbereich.
"Trotzdem bleibt Deutschland für uns ein Leitmarkt - ähnlich wie die USA oder Japan", sagt Pfundner. Das schlage sich auch in den Investitionen nieder, die in der jüngeren Vergangenheit in den hiesigen Werken so hoch gewesen seien "wie an keinem anderen Standort". So hat Roche im Penzberg (Bayern) eine der größten Anlagen für biotechnologisch - also mit Hilfe von lebenden Zellen - hergestellte Wirkstoffe gebaut. Wird es derartige Großinvestitionen auch künftig geben? "Wir werden wegen der Spargesetze nicht abwandern. Wir werden aber Investitionen in Deutschland kritischer als bisher prüfen", sagt Pfundner.
Tausende Stellen werden gestrichen
Auch Boehringer Ingelheim verweist auf die Bedeutung des deutschen Marktes. Der Familienkonzern, für den in Biberach gut 4500 Menschen in der Forschung und der biotechnologischen Wirkstoffproduktion arbeiten, macht zwar nur noch sechs Prozent des Umsatzes im Inland. "Deutschland ist aber der Referenzmarkt für die Preisgestaltung in vielen anderen Ländern", sagt eine Sprecherin. Auch dort wollen die Regierungen die Kosten im öffentlichen Gesundheitswesen im Zaum halten - eine Entwicklung, die sich durch die Schuldenkrise verstärken dürfte.
Viele Pharmafirmen streichen deshalb Tausende Stellen - auch Roche. Die Schweizer verkündeten vor einem Jahr den Abbau von 4800 Jobs. Laut Pfundner waren die deutschen Standorte aber "in Summe so gut wie nicht betroffen".
Verschärfung des Verteilungskampfs
Obwohl das Geschäft schwieriger geworden ist, erzielen die großen Pharmahersteller weiter Renditen, von denen andere Branchen nur träumen können. So weist der Roche-Konzern im ersten Halbjahr 2011 bei einem Umsatz von 21,7 Milliarden Schweizer Franken unterm Strich einen Gewinn von 5,3 Milliarden Franken aus - eine Umsatzrendite von rund 25 Prozent. "Wir brauchen solche Margen. Wir gehen mit den hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung - rund ein Fünftel unseres Umsatzes - auch ein hohes Risiko ein", sagt Pfundner.
Den Vorwurf, die Industrie treibe mit überteuerten Scheininnovationen die Kosten in die Höhe, weist er zurück. Die ebenfalls im Amnog geregelte strengere Nutzenbewertung neuer Arzneien - durch die viele Pharmafirmen Nachteile befürchten - werde am Ende zeigen, "dass unsere Produkte besser sind, als viele glauben", ist er überzeugt.
Gleichwohl prophezeit Pfundner eine Verschärfung des Verteilungskampfs im Gesundheitsmarkt, wo es in Zeiten voller Kassen leichter als heute war, hohe Gewinne einzufahren. Karl-Heinz Scheunemann, Pharma-Analyst bei der LBBW, erwartet deshalb einen wachsenden Konsolidierungsdruck: "Es wird mehr Kooperationen geben, aber auch Übernahmen und Zusammenschlüsse." Gerade für die vielen Mittelständler im Land werde es schwieriger, die hohen Kosten für die Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente alleine zu schultern.
Staatlich verordnetes Sparen
Kostenfaktor: 2010 gaben die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland 30,2 Milliarden Euro für Arzneimittel aus. Das sind gut 17 Prozent der Gesamtausgaben der Kassen.
Gesetz: Am 1. Januar 2011 ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (Amnog) in Kraft getreten. Es schreibt Pharmarproduzenten einen Preisnachlass von 16 Prozent vor. Großhandel und Apotheken werden ebenfalls zu Rabatten verpflichtet.
Nutzenbewertung: Laut dem Amnog müssen Hersteller den Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels gegenüber einer Vergleichstherapie nachweisen. Auf Basis der Nutzenbewertung wird festgelegt, welchen Preis die Kassen für das Medikament bezahlen.