Seit zehn Jahren wird die Medikamentenherstellung zentral überwacht. Diese Aufgabe übernehmen  zwölf  "Arzneipolizisten" aus Tübingen.

Besonders spektakulär ist der Fall von Metallpartikeln in einer Tablette, die aus einem defekten Sieb in der Produktionsanlage stammen. Oder der schimmlig-muffige Geruch im Blutverdünnungsmittel, der von Holzschutzmittelrückständen herrührt, die von einer Transportpalette durch die Plastikverpackung des Medikaments gedrungen ist. Das toxologische Risiko war gering, "aber die menschliche Nase ist sehr empfindlich", sagt Michael Schmidt, der Chef der Leitstelle Arzneimittelüberwachung Baden-Württemberg.

 

Auch als ein Krankenhaus die Mischung von einem stark wachrüttelnden und einem stark dämpfenden Medikament in ein und derselben Verpackung meldete, konnten die im Tübinger Regierungspräsidium angesiedelten Arzneipolizisten den Fall klären. Der Fehler war beim Verpacken passiert. Die Reste des einen Produkts waren noch nicht weggeräumt worden, als das nächste schon verpackt wurde.

Unschuldig war der Hersteller dagegen bei zwei Todesfällen wegen einer verkeimten Injektionslösung. Schnell stellte sich heraus, dass die Ampulle eines unkonservierten Lokalästhetikums angebrochen und danach über Wochen hinweg im Kühlschrank aufbewahrt und für mehrere Patienten verwendet worden war. Fälle wie diese werden der Leitstelle von Krankenhäusern, Arztpraxen oder Apotheken gemeldet, erzählt Schmidt. Die Ermittlungen können zu Rückrufaktionen führen.

Der "Arzneimittel-TÜV" überprüft nicht die Medikamente selbst

Das sind die Aufsehen erregenden Fälle, dabei ist die Hauptaufgabe der Arzneimittelüberwacher weniger aufregend - aber bestimmt nicht weniger bedeutsam. Die zwölf fast durchweg promovierten Apotheker aus Tübingen wachen über die Arzneimittelproduktion der 500 Betriebe im Land. Tübingens Regierungspräsident Hermann Strampfer bezeichnet die Institution als "Arzneimittel-Tüv", der Unternehmen die Erlaubnis zur Herstellung erteile. Dabei geht es nicht um die Zulassung des Medikaments selbst. Über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit befinden Bundesbehörden oder - für Europa die European Medicines Agency in London.

"Wir als staatliche Arzneimittelüberwachung überprüfen, ob die Betriebe so arbeiten wie vorgeschrieben", präzisiert der Referatsleiter Bernd Bormann. Und das betrifft die Produktion von Antibiotika ebenso wie das Abfüllen von Heilwasser und die Herstellung von Krebsmedikamenten.

Dabei geht es vor Ort - auch in den internationalen Produktionstätten baden-württembergischer Betriebe - um die Suche nach dem Fehler im System. Es wird geprüft, ob die Dokumentation in Ordnung ist, ob das Qualitätsmanagement funktioniert und ob die Mitarbeiter ausreichend geschult sind. Dabei haben die Kontrolleure schon oft bauliche Mängel von Lagern entdeckt oder Hygienemängel erkannt. Kennzeichnungsmängel auch hinsichtlich des Verfallsdatums wurden moniert; einmal stimmten die Daten auf dem Karton und der innen liegenden Blisterfolie nicht überein. Und mitunter bestand die Gefahr, dass die Medikamente bei der Produktion durcheinandergeraten waren.

Zentraler Ansprechpartner für Ausländische Behörden

Als in einem Behältnis Pillen unterschiedlicher Form und Größe auftauchten, hatte das nichts mit der Produktion zu tun, in dem Fall hatte ein älterer Patient alle ihm verordneten Medikamente zusammengeschüttet. In der Regel besuchen die Inspektoren einen Betrieb alle zwei Jahre. Bernd Bormann stellt den Unternehmen im Land ein durchaus gutes Zeugnis aus. Das liege auch daran, dass ein Betrieb bereits hohe Auflagen erfüllen muss, bevor ihm eine Erlaubnis erteilt wird. Bei der Leitstelle geht es auch um Einfuhr und Ausfuhrbescheinigungen von Arzneimitteln.

Die Überwachung des Arzneimittelgesetzes ist Ländersache. Bis vor zehn Jahren war jedes der vier Regierungspräsidien für diese Kontrollen zuständig. Angesichts immer komplexerer Verfahren und einer größeren Medikamentenvielfalt wurde der Sachverstand in Tübingen gebündelt. Das biete Vorteile bei der notwendigen Qualifizierung von Experten, stelle einheitliche Übertragungsstandards sicher und begünstige die Umsetzung des geforderten Qualitätssicherungssystems, hebt Bormann hervor. Und angesichts des hohen Exportanteils der Pharmaproduzenten im Land haben ausländische Behörden einen zentralen Anprechpartner.

Bormann betont, dass die Arbeit der Tübinger Leitstelle ihrerseits von EU-Inspektoren überprüft wird. "Diese externe Auditierung ist eine Besonderheit", sagt er. Im Auftrag der EU-Behörden reisen die Tübinger Fachleute auch in andere Länder, um Betriebe zu überprüfen. Die Vorgaben, nach denen geprüft wird, stammen von der GMP-Richtlinie, die 1968 von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegeben wurde und seit 2003 in ganz Europa gilt. GMP steht für Good Manufacturing Practice, was die Tübinger Experten etwas frei mit Gute Manieren beim Produzieren übersetzen.

Pharmaindustrie al wichtiger Wirtschaftszweig

Pharmaland: Baden-Württemberg gilt allgemein als führend im Automobil- oder Maschinenbau, dabei ist der Südwesten der größte Pharmastandort in Deutschland. Im Süpden gehören mehr als 500 Unternehmen zu dieser Branche, sie beschäftigen insgesamt 26000 Menschen. Der Umsatz beträgt 7,3 Milliarden Euro, auf den Export entfallen davon 5,3Milliarden Euro.

Spitzenposition: Europaweit führend sind die Unternehmen aus dem Land bei homöopathischen, anthroposophischen und pflanzlichen Arzneimitteln. Auch die größte biotechnische Produktionanlage Europas befindet sich in Baden-Württemberg.

Leitstelle: Das Tübinger Regierungspräsidium ist seit ziemlich genau zehn Jahren dafür zuständig, im ganzen Land die Hersteller von Medikamenten zu überwachen.