Der Stuttgarter Professor Philipp Hübl hat den Bestseller „Folge dem weißen Kaninchen . . . in die Welt der Philosophie“ geschrieben. Und er ärgert sich, nun als „der schöne Denker“ in die Medien zu kommen. Der StZ-Autor Markus Reiter ist ihm begegnet.

Stuttgart - Manche Sätze können einem 16-Jährigen ganz schon Respekt einflößen. Solche zum Beispiel: „Dasein hat sich, sofern es ist, je schon auf eine begegnende ,Welt‘ angewiesen, zu seinem Sein gehört wesenhaft diese Angewiesenheit.“ Wer so etwas schreibt, davon war der Gymnasiast Philipp Hübl überzeugt, muss der Welt etwas sehr Tiefgründiges mitzuteilen haben. Dumm nur, dass man nicht so recht kapiert, was. Aber das sollte doch rauszufinden sein. Also begann der junge Mann sich ausgerechnet mit Martin Heidegger zu beschäftigten, dem am schwersten zu verstehenden aller deutschen Philosophen, aus dessen zentralem Werk „Sein und Zeit“ der zitierte Satz stammt. Schuld an Hübls Faszination für die großen Denker hatte nicht zuletzt sein Philosophielehrer am Gymnasium in Hannover, der spätere Braunschweiger Professor Bernhard H. F. Taureck. Unkonventionell sei er gewesen, habe auch Karateübungen gezeigt – „und manchmal hat er uns mit seinem Anspruch überfordert“, erinnert sich Hübl, „aber schließlich hat uns die Überforderung angestachelt, mehr herauszufinden“.

 

Jedenfalls war die Saat gelegt. Nach der Schule schrieb er sich an der Humboldt-Universität in Berlin im Fach Philosophie ein. Für die Eltern waren das Flausen. Der inzwischen emeritierte Vater Lothar beschäftigte sich damals als VWL-Professor an der Uni Hannover mit Konjunkturpolitik und Regionalentwicklung. Die Mutter hatte eine Praxis als Allgemeinmedizinerin. Nach zwei, drei Semestern würde der Junge von einem so fluffigen Fach genug haben und sich anständigen Wissenschaften zuwenden, vermuteten sie. Philosoph sei schließlich ein, na ja recht prekärer Beruf. In der Tat ist er das. Das gilt auch heute noch, da Hübl Juniorprofessor an der Universität Stuttgart ist. Eine solche Berufung wird zeitlich begrenzt. Nach sechs Jahren ist Schluss. Dann sollte ein Juniorprofessor irgendwo in der Republik einen der raren Lehrstühle gefunden haben.

Unialltag eines Juniorprofessors

Mit der Unsicherheit muss Philipp Hübl leben. Gerade ist er aus einem Einführungsseminar in die Praktische Philosophie von der Uni herübergeeilt ins Restaurant Vinum, unten im Literaturhaus, gönnt sich Pasta mit Paprika und Champignons in Tomaten-Sahne-Soße. Gleich danach muss er zurück, um an einer Telefonkonferenz teilzunehmen. Der ganz normale Unialltag für Juniorprofessoren.

Außer, dass diese in der Regel nicht interviewt werden. Es gibt zwei Dinge, die den 38-Jährigen von anderen Jungwissenschaftlern unterscheiden. Das eine ist im wahrsten Sinne des Wortes offensichtlich. Philipp Hübl sieht gut aus. Das ist an sich noch kein Verdienst, aber diese Eigenschaft kann nicht schaden in einer Zeit, in der Philosophen auch fernsehtauglich sein müssen. Vor allem aber hat Philipp Hübl einen nicht minder attraktiven, zwei Jahre jüngeren Bruder, der sein gutes Aussehen zum Beruf gemacht hat. Johannes Hübl ist eines der erfolgreichsten deutschen Männermodels und lebt mit dem ebenso erfolgreichen Topmodel Olivia Palermo in einer gemeinsamen Wohnung in New York. Ein solches Bruderpaar reizt die Medien zu Schlagzeilen wie „Der Schöne und der Denker“. „Es nervt mich“, sagt Philipp Hübl, dass er von Journalisten zum philosophierenden Schönling gemacht wird.

Sieht Sloterdijk wirklich besser aus?

Das klingt ehrlich, aber es schimmert auch ein wenig Koketterie durch. Vielleicht hat es ihn sogar ein wenig enttäuscht, dass er bei einer Umfrage des Online-Portals der FAZ nach dem bestaussehenden Philosophen nur einen hinteren Platz einnahm. Ganz ernst zu nehmen ist die Umfrage allerdings nicht. Ausgerechnet Peter Sloterdijk für den schönsten deutschen Denker zu halten dürfte eine ziemliche Herausforderung an die Theorie der Ästhetik stellen.

Damit kennt sich Hübl inzwischen auch aus – wenn Journalisten anrufen, wollen sie von ihm meist so Sachen wissen wie: was von Schönheitsoperationen aus philosophischer Sicht zu halten sei und warum wir manche Menschen für schön halten und andere nicht. Das Thema interessiert ihn wissenschaftlich nur am Rande, erweist sich aber als deutlich medientauglicher als die „Philosophie des Geistes“, die er als seinen Forschungsschwerpunkt bezeichnet.

Immerhin hat Philipp Hübl in diesem Jahr zu einem denkerischen Rundumschlag ausgeholt. Und das ist der zweite Grund für das öffentliche Interesse an dem Stuttgarter Juniorprofessor. Sein Buch „Folge dem weißen Kaninchen . . . in die Welt der Philosophie“ (Rowohlt Taschenbuch, 352 Seiten, 11,99 Euro) stand monatelang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. „Ich habe das Buch für gebildete Laien geschrieben, nicht für Fachwissenschaftler“, erzählt er. Die Idee dazu hatte er schon vor acht Jahren mit dem Verlag abgesprochen, es kam aber immer etwas dazwischen. Jetzt passt das Werk in den Boom ähnlicher Einführungen, die seit einiger Zeit die Bestsellerliste erobern. Der Stuttgarter Professor beschäftigt sich mit dem Wesen der Sprache, dem Glauben an Gott, dem Träumen, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, dem freien Willen und dem Sinn des Lebens. Das sind alles Fragen, auf die man gerne eine Antwort hätte, die etwas verständlicher klingt als das Eingangszitat von Heidegger.

Angelsächsischer Pragmatismus ist ihm heute lieber

Die Faszination, welche die Worte des Philosophen aus Meßkirch einst auf Hübl als Schüler ausgeübt haben, ist allerdings mittlerweile dahin. „Es kommt viel zu oft vor, dass hinter dem Vorhang einer raunenden Sprache nichts Tiefgründiges zu finden ist.“ Seine Skepsis gegen das Unverständliche in der Philosophie hat er an der Universität Berkeley während zweier Austauschsemester und später im englischen Oxford geschärft.

Der Pragmatismus der Angelsachsen beherrscht ohnehin sein Fach. Wer wissenschaftlich reüssieren will, muss klar strukturierte, verständlich verfasste Aufsätze in den führenden, englischsprachigen Fachzeitschriften unterbringen. Wie das geht, bringt er seinen Studenten bei. Von seiner Website können sie eine dreißigseitige Anleitung zum „Handwerk des philosophischen Schreibens“ herunterladen. „Schreiben Sie klar und verständlich“, heißt es darin und: „Vermeiden Sie unnötige Abstraktionen.“ Das klingt alles sehr einleuchtend. Nur: hätte sich Martin Heidegger an diese Regeln gehalten, wer weiß, ob der Gymnasiast Philipp Hübl jemals zur Philosophie gefunden hätte.