Wie groß aber sollte diese Kapazität sein? Wo läge die so umstrittene Obergrenze? Fabian Wendt aus Bielefeld sieht sie in seinem Beitrag „Gerechtigkeit ist nicht alles“ dort, wo der soziale Friede in Gefahr gerät, auch dies freilich eine nicht unbedingt genau zu fassende Kategorie. Manifestieren der Zustrom zur neuen Rechtspartei AfD, der aufbrechende Rassismus oder vermehrt registrierte Attacken auf Andersdenkende bereits einen solchen Zustand des sozialen Unfriedens? „Der soziale Friede in Deutschland ist sicherlich noch nicht zerstört“, meint Wendt: „Es ist nun aber auch gerechtfertigt, weniger Flüchtlinge aufzunehmen als im vergangen Jahr.“ Diesen Ratschlag freilich hat die Politik bereits rigoros umgesetzt – unter anderem über die Schließung der Balkanroute und das EU-Türkei-Abkommen.

 

Professionelle Moralratgeber

Ob die politisch Verantwortlichen regelmäßig professionelle Moralratgeber um eben jenen Rat fragen, wissen wir nicht. Zumindest unbewusst verläuft die politische Debatte in Europa entlang der Linien, die auch in den philosophischen Beiträgen zur Flüchtlingsfrage deutlich werden. Die Denker liefern somit keine unumstößlichen moralischen Antworten, jedoch immerhin die Erkenntnis, dass nicht alle in der Debatte vertretenen Positionen automatisch unethisch sind – von der offen zur Schau gestellten Ausländerfeindlichkeit einmal abgesehen. Die im Vorwort angekündigten „Versuche, die Flüchtlingsdebatte in unserem Land zu versachlichen“, können genau dazu als Grundlage dienen in einer Zeit, in der „einigen Menschen erkennbar der normative Kompass abhanden gekommen“ ist. Nötig wäre es.