Analysen alter DNA stellen das bisherige Verständnis der phönizisch-punischen Zivilisation in Frage. Forscher haben Genomdaten von 210 Menschen aus der Antike analysiert und entdeckt: Die phönizischen Städte hatten trotz enger Verflechtungen nur wenig genetischen Einfluss auf die Bevölkerung im Mittelmeerraum.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die phönizische Kultur entstand in den Stadtstaaten der Levante in der Bronzezeit und brachte bedeutende Innovationen hervor, etwa das erste Alphabet, von dem viele heutige Schriftsysteme direkt abstammen.

 

Bis zum Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. hatten die phönizischen Städte ein ausgedehntes maritimes Netzwerk von Handelsposten bis nach Iberia aufgebaut und ihre Kultur, Religion und Sprache im gesamten zentralen und westlichen Mittelmeerraum verbreitet.

Im Dritten Punischen Krieg (149-146 v. Chr.) wurde Karthago von römischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht.  Foto: Imago/Kena Images

Karthago und die Herrschaft der Phönizier

Im 6. Jahrhundert v. Chr. herrschte Karthago, eine aufstrebende phönizische Küstenkolonie im heutigen Tunesien, über diese Region. Diese kulturell phönizischen Gemeinschaften, die mit Karthago verbunden waren oder von Karthago regiert wurden, nannten die Römer „punisch“.

Rekonstruktion von Utica, einem karthagischen Handelshafen, 24 Kilometer von der Hauptstadt Karthago entfernt.  Foto: Imago/Gemini Collection

Das karthagische Reich hinterließ seine Spuren in der Geschichte. Bis heute weitbekannt sind die drei blutigen „Punischen Kriege“ gegen die aufstrebende Römische Republik um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum, darunter der Überraschungsfeldzug des karthagischen Feldherrn Hannibal, der eine gewaltige Armee inklusive Elefanten über die Alpen führte, die die junge Römische Republik an den Rande des Zusammenbruchs brachte.

Büste des karthagischen Feldherrn Hannibal (247-183 v. Chr.).  Foto: Imago/Gemini Collection
218 v. Chr. überquerte Hannibal mit seinem Heer die Alpen, um die römischen Truppen in Italien anzugreifen.  Foto: Imago/UIG

Im Rahmen des Max Planck-Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranean hat ein internationales Forschungsteam jetzt und eine Studie im Fachjournal „Nature“ zur genetischen Geschichte dieser alten mediterranen Zivilisationen veröffentlicht.

Neue Einblicke in die Verbreitung der phönizischen Kultur

Ziel der neuen Studie war es, anhand alter DNA die Abstammung der punischen Bevölkerung zu bestimmen und nach genetischen Verbindungen zwischen ihnen und den levantinischen Phöniziern zu suchen, mit denen sie eine gemeinsame Kultur und Sprache teilten.

Bemaltes Straußenei aus der punischen Nekropole von Villarricos (Spanien). Diese Eierschalen waren eine beliebte punische Grabbeigabe und unterstreichen den kulturellen Einfluss, der sich von Nordafrika aus erstreckte.  Foto: © Museo Arqueológico Nacional Madrid

Dies gelang durch die Sequenzierung und Analyse einer großen Anzahl von Genomen aus menschlichen Überresten, die in 14 phönizischen und punischen archäologischen Stätten in der Levante, Nordafrika, Iberien und auf den Inseln Sizilien, Sardinien und Ibiza begraben waren.

Dabei kamen die Forscher zu einem überraschenden Ergebnis: „Wir haben überraschenderweise nur einen geringen direkten genetischen Anteil der levantinischen Phönizier an den punischen Populationen im westlichen und zentralen Mittelmeer gefunden“, erklärt Erstautor Harald Ringbauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

„Das wirft ein neues Licht darauf, wie sich die phönizische Kultur ausbreitete – nicht durch Massenmigration, sondern durch einen dynamischen Prozess von Kulturtransfer und Assimilation.“

Punische Nekropole von Puig des Molins auf Ibiza.  Foto: © Photo Raymar, MAEF

„Sehr heterogenes genetisches Profil“

Die Studie zeigt, dass die punischen Stätten damals von Menschen mit sehr unterschiedlicher genetischer Abstammung besiedelt waren. „Wir finden in der punischen Gesellschaft ein sehr heterogenes genetisches Profil“, erläutert David Reich, Professor für Genetik und Evolutionsbiologie des Menschen an der Harvard University und einer der Autoren der Studie.

„Die genetische Herkunft der Menschen war an allen Fundorten sehr vielfältig, wobei die größte genetische Gruppe aus Menschen bestand, die heutigen Menschen in Sizilien und der Ägäis ähnelten. Darüber hinaus gab es eine große Anzahl von Menschen mit signifikanter nordafrikanischer Abstammung.“

Monumentaler phönizischer Marmorsarkophag in menschlicher Form von 500 v. Chr. im  Museo Archeologico Regionale Antonino Salinas in Palermo auf Sizilien. Foto: Imago/Imagebroker

Alte DNA enthüllt kosmopolitische Natur der punischen Welt

Die Ergebnisse zeigen den kosmopolitischen Charakter der punischen Welt. In allen untersuchten punischen Siedlungen, einschließlich Karthago, lebten Menschen nordafrikanischer Abstammung neben und vermischten sich mit der überwiegend sizilianisch-ägäischen Bevölkerung.

Darüber hinaus deuten genetische Netzwerke im gesamten Mittelmeerraum darauf hin, dass gemeinsame demografische Prozesse wie Handel, Heirat und Vermischung eine entscheidende Rolle bei der Entstehung dieser Gemeinschaften spielten. Die Forscher haben sogar zwei nahe Verwandte über das Mittelmeer hinweg ausfindig gemacht, von denen der eine in einem punischen Grab in Nordafrika und der andere in Sizilien begraben liegt.

Phönizisches Handelsschiff Foto: Imago/H.Tschanz-Hofmann

Mobilität historischer Bevölkerungsgruppen

„Diese Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass die damaligen Gesellschaften im Mittelmeerraum eng miteinander verbunden waren und die Menschen über oft große geografische Entfernungen hinweg migrierten und sich vermischten“, betont Ilan Gronau, Professor für Informatik an der Reichman University in Herzliya, Israel, ein weiterer Autor der Studie.

„Solche Studien zeigen das Potenzial alter DNA, Informationen über die Abstammung und Mobilität historischer Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, von denen wir nur wenige direkte historische Aufzeichnungen haben“, sagt Gronau.