In Stuttgart ist man sich uneinig: Sollen Regeln gelockert werden, damit auf Äckern Photovoltaik-Module aufgestellt werden können? Nun gibt es einen Kompromissvorschlag – mit dem aber auch nicht alle glücklich sind.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Bislang herrscht ein Patt: Die Stuttgarter Bezirksbeiräte aus Hedelfingen, Mühlhausen und Möhringen haben Zustimmung signalisiert. Unterdessen haben die Gremien aus Stammheim, Degerloch und Zuffenhausen abgelehnt. Es geht um die Frage, ob es einfacher werden soll, Solarmodule auf Freiflächen – also etwa Äckern – aufzubauen. Das ist die Idee des Verbands Region Stuttgart, der dafür auch Grünzüge öffnen will. Die sogenannte Teilfortschreibung wird nicht von der Stadt getragen, Stuttgart ist lediglich am Verfahren beteiligt.

 

Werden Landwirte genügend berücksichtigt?

Diejenigen, die sich gegen die Pläne wehren, hätten vor allem ein Argument vorgebracht, sagt Hermann-Lambert Oediger, der Leiter der Abteilung Stadtentwicklung bei der Stadt: Landwirtinnen und Landwirte würden nicht ausreichend berücksichtigt. Und im Falle von Zuffenhausen sei hinzugekommen, dass laut der Lokalpolitiker der Stadtbezirk schon jetzt stark belastet sei durch „autobahnähnliche Straßen“.

Leitet die Abteilung Stadtentwicklung bei der Stadt Stuttgart: Hermann-Lambert Oediger Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Darum hat die Verwaltung nun einen Vorschlag gemacht: nämlich dass Böden, die der höchsten Qualitäts entsprechen (Qualitätsstufe fünf), nur für sogenannte Agri-PV-Anlagen genutzt werden. Agri-PV-Anlagen unterscheiden sich insofern von klassischen Freiflächen-PV-Anlagen, als dass sie deutlich höher liegen und unter den Modulen Gemüse oder Getreide angebaut werden kann sowie Feldmaschinen durchfahren können. „So kann man Landwirtschaft und Energie miteinander verbinden“, erläutert Oediger. Zudem heißt es in dem Vorschlag der Verwaltung, dass auf diesen qualitativ hochwertigsten Böden die Solaranlagen auf jeweils 2,5 Hektar begrenzt werden sollen.

Lieber Parkplätze und Radwege für Solar nutzen?

Die Stuttgarter Stadträte kommentierten diesen Kompromissvorschlag in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Klima und Umwelt (AKU) kritisch. „Einem Landwirt, der auf Bodenqualität vier produziert, bringt das nichts“, sagte Michael Warth (CDU). Zudem solle man Photovoltaik zunächst auf die großen Parkplätze von Geschäften wie Aldi, Lidl oder Bauhaus anbringen, „und erst dann aufs freie Land“, forderte er. Auch die Grünen-Stadträtin Gabriele Munk befand, dass Parkplätze oder perspektivisch überdachte Radwege zuerst mit Solarmodulen bestückt werden sollten. Friedrich Haag (FDP) merkte noch an, dass ein Rückgängigmachen einer Belegung mit Solarmodulen nicht so leicht sei: „Ein Boden verliert seine Fruchtbarkeit, wenn er 20 Jahre lang brach liegt.“

In der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirats Degerloch betonte Jan Ferenz, stellvertretender Leiter der Abteilung Stadtentwicklung in Stuttgart, wie wichtig bezahlbare Energie zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts sei. Die Landwirtin Christine Knobloch-Hiller machte unterdessen ihrem Unmut Luft. Die Filderböden würden behandelt „wie der letzte Dreck“, kommentierte sie. „Es gibt keine Wertschätzung für die lokale landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion.“

Degerlocher Landwirtin wehrt sich

Unterhalb der Freiflächen-Anlagen verkümmere die Natur, und die Böden trockneten aus. Wo Ferenz von einem besonderen Gewicht für „besondere, raumbedeutsame Funktionen“ sprach, sah Knobloch-Hiller einen Verlust an wertvollem Ackerland. Dessen Bepflanzung wirke sich auch positiv auf den Klimaschutz aus, strich sie heraus. Ein Maisfeld in der Größe eines Fußballfeldes bindet annähernd so viel CO2, wie jährlich von 8 bis 13 PKW ausgestoßen wird.

Man könne doch ersatzweise die Dachflächen im Gewerbegebiet nutzen, lautete ein Vorschlag. Der Tenor: Auf der Gemarkung Stuttgart dürfe es nicht zur Versiegelung landwirtschaftlicher Flächen kommen. Die Beschlussvorlage des Referats Städtebau, Wohnen und Umwelt zur „Festlegung von Vorbehaltsgebieten und Öffnung der regionalen Grünzüge für Freiflächen-Photovoltaik“ wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.

In Plieningen wird am 4. November diskutiert

Aus dem Bezirksbeirat Plieningen liegt ein interfraktioneller Antrag für die Sitzung am 4. November vor, in der die Teilfortschreibung voraussichtlich Thema sein wird. Auch hier lehnt man die Pläne der Stadt einstimmig ab. PV-Anlagen könnten an städtischen Gebäuden angebracht werden, statt „beste Ackerböden mitten in bestehenden Ackerflächen zuzustellen“. Der Stadtteil habe bereits durch die S-21-Durchgangsstrecke und die Baustelleneinrichtung gut 44 Hektar landwirtschaftlicher Flächen verloren.

Für den 12. November ist ein Beschluss des Gemeinderats vorgesehen. Anschließend muss Stuttgart seinen Beschluss im Verband Region Stuttgart kundtun. Welche Auswirkungen es dann tatsächlich hat, wenn Stuttgart sich anders positioniert als Kommunen in der Region, ist indes noch unklar.