Mit den kleinsten physikalischen Teilchen lässt es sich besonders schnell rechnen – vorausgesetzt, man kann sie bändigen.
Stuttgart - Der US-Geheimdienst NSA würde es lieber sehen, wenn es ihn nie geben würde: den Quantencomputer. Denn ein solcher Rechner würde im Handumdrehen verschlüsselte Botschaften knacken, die ein herkömmlicher Computer erst nach Jahrmillionen Rechenzeit dechiffrieren könnte. Nicht nur verschlüsselte E-Mails und Telefongespräche wären dann plötzlich unsicher, sondern auch der Zahlungsverkehr mit Kreditkarten. Ein solcher Rechner hätte aber auch Vorteile: wichtige Aufgaben wie das Durchsuchen von Datenbanken könnte er viel schneller erledigen als jeder PC.
Viel Hoffnung, dass der Quantencomputer Science-Fiction bleibt, lassen Physiker den Geheimdiensten derzeit nicht. Denn in den vergangenen Jahren gab es erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung des Quantencomputers, auch wenn man vom Ziel noch weit entfernt ist. „Unsere Prototypen verhalten sich zu einem leistungsfähigen, praktisch nutzbaren Quantencomputer in etwa so wie ein Röhrencomputer aus den 50er Jahren zu einem PC von heute“, sagt der Physiker Rainer Blatt von der Universität Innsbruck.
„Aber die Entwicklung des Quantencomputers schreitet schneller voran als die der frühen Computer“, ergänzt Tommaso Calarco von der Universität Ulm. Zwar sei mit einem Quantencomputer, der alle Aufgaben lösen kann, erst in Jahrzehnten zu rechnen. „Doch Quantenrechner könnten schon in wenigen Jahren bestimmte Spezialprobleme lösen, vor denen sogar Supercomputer kapitulieren“, sagt der Physiker.
Die Quanten sind leider sehr empfindlich
Ein Quantencomputer ähnelt einem Schachspieler, der alle denkbaren Reaktionen seines Gegners parallel in seinem Kopf durchprobieren kann. Er beschreitet alle möglichen Lösungswege einer Aufgabe im gleichen Moment und filtert den richtigen heraus. Dieses Auf-einen-Blick-Erfassen verdankt der Quantencomputer der Fähigkeit von Quantenteilchen – also Atomen, Ionen oder Elektronen –, zwei physikalische Zustände gleichzeitig einzunehmen. Die mikroskopisch kleinen Schalter hingegen, mit denen ein herkömmlicher Computer rechnet, sind entweder an oder aus, aber niemals beides gleichzeitig. Statt mit Bits, also mit den Informationseinheiten „0“ und „1“, rechnet ein Quantencomputer mit Quantenbits, kurz Qubits, die zugleich „0“ und „1“ sein können.
Doch die Forscher haben ein Problem: ähnlich, wie die Schalter in einen Computer miteinander verdrahtet werden, müssen auch Qubits verknüpft werden – und Qubits sind empfindlich. Im Fachjargon der Physiker werden atomare Teilchen miteinander „verschränkt“: Sie sind dann verbunden, auch wenn man sie räumlich trennt. Wird das eine Teilchen manipuliert, verändert sich auch das andere Teilchen. Je mehr verschränkte Teilchen ein Quantencomputer hat, desto mehr Lösungswege kann er gleichzeitig testen. Weil aber die Verschränkung leicht zerstört werden kann – es genügt schon die Wärmestrahlung, die von den Laborwänden ausgeht –, konnte bisher nur ein gutes Dutzend von Qubits verschränkt werden.
Ein Team um Rainer Blatt hält diesen Rekord: die Österreicher haben mit Laserstrahlen 14 Kalziumionen miteinander verschränkt. „Um Verschlüsselungen zu knacken, bräuchte man einen Quantencomputer mit etwa 100 000 Qubits“, sagt Blatt. Es ist also noch viel zu tun. Immerhin hundert Rubidiumatome möchte Gerhard Birkl von der Technischen Universität Darmstadt noch in diesem Jahr verschränken.
Die Fortschritte der Physiker
Dass Forscher trotzdem von wesentlichen Fortschritten sprechen, liegt unter anderem daran, dass sie lernen, mit der Fehleranfälligkeit von Quantencomputern umzugehen. Quantencomputer sind fehleranfällig, weil das Gedächtnis der Teilchen nur wenige Millisekunden überdauert – danach ist die Verschränkung spätestens zerstört. Das Team um Blatt hat vor Kurzem ein in der Computertechnik gängiges Fehlerkorrekturverfahren in die Welt des Quantencomputers übertragen. Das Verfahren beruht bei herkömmlichen Computern darauf, jedes Bit „0“ und „1“ nicht nur einmal, sondern dreimal zu übertragen. Es gibt also für jedes Bit zwei Sicherungskopien. Nach einem Fehler macht der Computer eine Mehrheitsentscheidung: Bei zwei Einsen und einer Null entscheidet er sich beispielsweise für die Eins. Von Qubits lassen sich aber keine Sicherungskopien anfertigen. Doch dieses Problem haben die Innsbrucker Physiker umschifft: „Wir haben die drei Qubits verschränkt“, erklärt Blatt. „Dadurch verteilt sich die im ersten Qubit gespeicherte Information auf die beiden anderen. Wir haben eine Technologie entwickelt, die nach einem Fehler herausfindet, was passiert ist. Mit dieser Information lässt sich der Fehler rückgängig machen“, erklärt der Physiker.
Der Physiker Jörg Wrachtrup von der Universität Stuttgart baut die Qubits in Diamantkristalle ein und schützt sie auf diese Weise vor schädlichen Umwelteinflüssen. Dieser Schutz ist so gut, dass Qubits auch bei Raumtemperatur stabil bleiben, wohingegen die Qubits anderer Forscher nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius funktionieren. Die Technik könnte einmal im Alltag einsetzbare Quantencomputer ermöglichen. Allerdings können die Forscher die Qubits noch nicht präzise genug im Kristall positionieren.
Die erste realistische Anwendung für Quantencomputer
Es zeichnet sich schon jetzt ein erstes realistisches Einsatzgebiet für Quantencomputer ab: die Simulation von Materialien. Hier könnten Quantencomputer sogar bald die konventionellen Supercomputer überflügeln. Denn bei der Simulation von Materialien geht es letztlich um die Simulation von kleinsten physikalischen Teilchen. Bei sogenannten Supraleitern bestimmt zum Beispiel die Quantenphysik, bis zu welcher Temperatur sie Strom verlustfrei leiten. Physiker verstehen Supraleiter noch nicht gut genug, um sie so weiterzuentwickeln, dass die Materialien auch bei Raumtemperatur keinen Widerstand haben. „Quantencomputer könnten bald in der Lage sein, Hochtemperatur-Supraleiter zu simulieren und sie somit besser zu verstehen“, sagt Tommaso Calarco. Physiker aus Innsbruck und um Immanuel Bloch von der Universität München haben bereits erste Quantensimulationen des Magnetismus von Stoffen demonstriert.
Überraschenderweise bringt auch der Geheimdienst NSA die Entwicklung des Quantencomputers voran, indem er Forscher fördert. Sie sollen die Existenz eines Quantencomputers annehmen und Programme für ihn entwickeln. Die Behörde will herausfinden, was ein solcher Rechner können wird. Sie will offenbar nicht unvorbereitet in die neue Technikära stolpern.