Acht Prozent der Deutschen ab 14 Jahren haben schon mindestens eine Pilgerreise unternommen.

Lourdes gibt es sogar auf Rezept. Eine niederländische Krankenversicherung zahlt die Pilgerfahrt in das französische Städtchen, weil sie von dessen heilender Wirkung überzeugt ist. Auch der Kinofilm "Lourdes" erzählt derzeit vor allem eine Krankengeschichte: Die gelähmte Christine reist in jene Grotte, wo vor rund 150 Jahren eine Frau in weißen Gewändern erschienen sein soll, und wird geheilt.

Dabei machen jene Pilger, die sich in Lourdes eine wundersame Linderung ihrer Leiden erhoffen, längst nicht mehr die Masse der Besucher aus, manche Zahlen sagen, es seien nur noch zwei Prozent der jährlich sechs Millionen. Dafür kommen immer mehr kerngesunde junge Menschen. Auch die weiße Madonna erlebt die Auswirkungen eines verjüngten und boomenden Pilgermarkts, auf dem sich die Motivlage geändert hat.

Acht Prozent der Deutschen ab 14 Jahren haben schon ein oder mehrmals eine Pilgerreise unternommen, von den anderen kann sich immerhin jeder Siebte vorstellen, eine solche irgendwann einmal zu machen. Das hat das Institut Mindline media im Jahr 2008 in einer repräsentativen Umfrage herausgefunden. Bei den unter 30-Jährigen ist sogar ein Drittel wallfahrtswillig. Zu den klassischen Pilgern jenseits der 50 mit gesundheitlichen und religiösen Motiven ("Ein Weg, sich dem Glauben zu nähern", "Vergebung der Sünden") gesellen sich zunehmend Junge und Akademiker, die in der Umfrage "Selbstfindung", "Entspannung", "Sport" und "Wanderspaß" als Motive nennen. Wobei Männer zu Letzterem, Frauen zu Ersterem tendieren. So scheinen die modernen Pilger eher ein gutes Körpergefühl zu suchen, als – wie einst – das verlorene Paradies. Auf dem Weg zum Überirdischen ist das eigene Selbst das Ziel – und das ist wiederum nicht selten in der Krise: In Foren und Berichten begegnet man frisch Getrennten und Gefeuerten, Quarter- oder Midlife-Crisis-Geplagten.

Die Veranstalter reagieren auf die Heterogenisierung des Markts mit einem vielfältigen Angebot: Es gibt Reisen in kleinen und größeren Gruppen, zu Fuß, auf Fahrrädern, im Lourdes-Flieger, mit Bussen und Sonderzügen oder auch mal mit dem Schiff. Es gibt Fahrten für Junge, Senioren, Singles, Kranke oder Trauernde. "Die Leute machen sich immer häufiger in kleineren Gruppen oder individuell auf den Weg", sagt Bernhard Meyer vom Bayerischen Pilgerbüro, Deutschlands größtem katholischem Reiseanbieter. Wallfahrten in der Masse – etwa in Sonderzügen zu Heiligsprechungen nach Rom – gingen zurück. Im bayerischen Altötting hat das Wallfahrtsbüro registriert, dass eine steigende Zahl der jährlich eine Million Besucher zu Fuß bei der schwarzen Madonna ankommt.

Und jeder Trend treibt auch lustige Blüten. So können Pilger wählen zwischen dem Nidaros-Weg in Norwegen, der als Geheimtipp für joggende Sinnsucher verkauft wird, oder der Rennradwallfahrt nach Santiago de Compostela. Oder wie wäre es mit einer Kutschen-Wallfahrt im münsterländischen Telgte, einer Wohnmobilwallfahrt im niederrheinischen Goch und einem Bikertreffen im Marienort Kevelaer? Andere rollen auf Skateboard und Inlineskatern an.

So heterogen die Fortbewegungsmittel, so klassisch sind die Wallfahrtsziele, die bereits seit Ende der 90er Jahre steigenden Zulauf registrieren. Massenmagneten in Europa sind neben Lourdes das Marienheiligtum im portugiesischen Fatima (4,5 Millionen) sowie das Grab von Padre Pio im apulischen San Giovanni Rotondo (7 Millionen). Weltweit liegt die Basilika der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko (20 Millionen) vorne. In Deutschland zieht nach Altötting das nordrhein-westfälische Kevelaer (800.000) die Menschen an.

Und immer wieder Santiago: Die letzte Ruhestätte des heiligen Jakobus in Spanien besuchen jährlich sieben Millionen Pilger. Neue Teilstücke der Jakobsroute sprießen vor allem in Deutschland aus dem Boden, auf dem mittlerweile weitverzweigten europäischen Wegenetz trifft man die Generation Hape Kerkeling, die sich nach dem Bestseller des Moderators "Ich bin dann mal weg" auf die Wandersocken machte. Der Jakobsweg ist vielleicht die Strecke, auf der sich der Pilgerboom am besten nachvollziehen lässt: Im Jahr 1989 wurden knapp 6000 Pilger dort registriert, 2009 waren es 146.000. In diesem Jahr werden noch mehr erwartet: 2010 gilt als Heiliges Jahr, weil der Todestag des Apostels (25. Juli) auf einen Sonntag fällt.

Dabei finden Wanderer auch in Deutschland jede Menge historische, bisweilen anspruchsvolle Pilgerwege: Vom 350 Kilometer langen Birgittaweg zwischen Stralsund und Lüneburg im Norden bis zum 248 Kilometer langen Benediktweg entlang der Kindheits- und Jugendstätten des Papstes in Oberbayern. Die Grenzen zwischen Leibes- und Geistesertüchtigung sind fließend. Auch jene zwischen Pilgern und Touristen verschwimmen zusehends, hat das Passauer Centrum für Tourismusforschung herausgefunden. Die neuen Pilger verbinden den Besuch der religiösen Stätten gerne mit kulturhistorischen Besichtigungen. Fremdenverkehr mit Lerneffekt. Viele Anbieter haben ihr Programm in diese Richtung erweitert.

Eine Kombination aus Pilger- und Studienreise wird traditionell für Rom, aber auch für das Heilige Land gebucht, wo Pilger Städte wie Bethlehem, Nazareth und Jerusalem besichtigen. Bei Biblische Reisen, die ein breites Nahostprogramm haben, beobachtet man, dass Israel seit dem Ende der Zweiten Intifada im Jahr 2005 wieder starken Zulauf hat. Das deckt sich mit der Erfahrung anderer Veranstalter. Das Heilige Land ist deshalb auch Schwerpunkt auf der zweiten Pilgermesse Pilgus im April in Mainz. Biblische-Reisen-Geschäftsführer Georg Röwekamp beobachtet neben einem boomenden Markt im Bereich religiöser Reisen ein verstärktes Interesse an dem, was er "säkulares Pilgern" nennt: Reisen auf den Spuren von Musikern oder Schriftstellern. Auch eine Möglichkeit, sich selbst zu finden – im Leben der anderen.

Pilgerziele

Jakobsweg

Viele Wege führen ins nordspanische Santiago de Compostela, wo 2010 ein Heiliges Jahr gefeiert wird, weil der Todestag des Apostels Jakobus (25. Juli) auf einen Sonntag fällt. Auch in Süddeutschland ist das Netz weit verzweigt. Unter anderem gibt es den den Oberschwäbischen Pilgerweg sowie den Hohenzollerischen von Rottenburg nach Konstanz. Einen guten Überblick zum Wegenetz bietet www.jakobus-info.de. Dort finden Pilger auch Informationen zu Pilgerausweis, Ausrüstung und Unterkünften. Organisierte Touren per Flugzeug, zu Fuß, in Gruppen oder individuell bietet etwa das Bayerische Pilgerbüro an. Informationen und Katalog unter Telefon 089/5458110, www.pilgerreisen.de. Organisierte Wander- und Radreisen in Spanien findet man beim Reiseveranstalter Vuelta (www.vuelta.de). Informationen zu Santiago de Compostela beim Spanischen Fremdenverkehrsamt, Telefon 06123/ 99134. Große Wallfahrtsorte Europa Lourdes, Frankreich (Grotte von Massabielle): Deutschsprachige Pilgerseelsorge, Telefon 0033/562427809; www.lourdes-france.org. Fatima, Portugal (Erscheinungskapelle): www.santuario-fatima.pt (englisch). San Giovanni Rotondo, Italien (Grab Padre Pio): Deutsches Pilgerbüro, Telefon 0039/0882417500; www.santuariopadrepio.it/de/home/ Altötting, Deutschland (schwarze Madonna): Wallfahrts- und Verkehrsbüro, Telefon 08671/506219; www.altoetting.de. Klassische Pilgerreisen im Programm haben unter anderem Viator Reisen (www.viator.de), Courtial Reisen (www.courtial-reisen.de).

Es muss nicht immer Jakobus sein

Der Frankenweg (2000 km) führt von Canterbury in Großbritannien über Frankreich bis nach Rom: www.via-francigena.com.

Mönchsweg (342 km) von Glückstadt nach Puttgarden in Schleswig-Holstein auf der Route angelsächsischer Missionare: www.moenchsweg.de.

Ökumenischer Pilgerweg (402 km) von Vacha in Thüringen bis Görlitz in Sachsen: www.oekumenischerpilgerweg.de.

Elisabethpfade (145 km und 190 km) von Frankfurt am Main beziehungsweise vom thüringischen Eisenach nach Marburg zum Grabmal der ungarischen Königstochter Elisabeth von Thüringen: www.elisabethpfad.de.

Benediktweg (Rundweg 248 Kilometer) entlang der Stätten der Kindheit und Jugend von Joseph Ratzinger in Oberbayern: www.benediktweg.de.

Zum Kulturhauptstadtjahr hat die evangelische Kirche eine Pilgerroute im Pott entlang des Flusses Emscher zusammengestellt: www.pilgern-im-pott.de.

Heiliges Land

Das Land der Bibel haben fast alle großen Pilger- und Studienreisenanbieter im Programm. Biblische Reisen hat ein umfangreiches Angebot für den Nahen Osten, unter anderem die Israel-Reisen "Heiliges Land für junge Erwachsene", "Auf den Spuren Jesu". Biblische Reisen Servicenummer 0800/6192510, www.biblische-reisen.de.

Messe

Die Pilgermesse Pilgus findet vom 16. bis 18. April in Mainz statt. Der 17. und 18. April sind Publikumstage. Rund 30 Aussteller werden erwartet, Schwerpunkt sind Israel und Jordanien: www.pilgus.de.

Film und Literatur

Der Film "Lourdes" läuft seit vergangenem Donnerstag in deutschen Kinos. Der in Venedig ausgezeichnete Streifen erzählt die Geschichte einer gelähmten jungen Frau, die in Lourdes geheilt wird.

Literatur: Der Merian-Live-Führer "Pilgern in Deutschland" (9,95 Euro) beschreibt sieben Pilgerwege, der Bildband "Der Traum vom Pilgern" (Diederichs, 19,95 Euro) 14 europäische Wege.