Essbar oder nicht essbar? Das ist in manchen Fällen gar nicht die Frage. Denn Pilze sind mehr als nur ein Nahrungsmittel – sie dienen auch als Basis für Farbe, Leder oder Papier.

Ingolstadt - Steinpilze, Maronenröhrlinge und Pfifferlinge haben oft ein schweres Schicksal. Gehen sie einem Sammler in die Fänge, widerfährt ihnen stets dasselbe: Sie landen alsbald in der Pfanne, zur Abwechslung auch mal in Backofen, Kochtopf oder Thermomix. Dabei lässt sich mit Pilzen noch so viel anderes anstellen, anstatt sie bloß zu verspeisen. Manche der Gewächse eignen sich zum Färben, aus anderen lässt sich Tinte, Papier, Schmuck, Verpackungsmaterial oder sogar eine Art Leder herstellen. Grundsätzlich gilt: Die wunderbare Welt der Pilze umfasst weit mehr als allseits bekannte Arten wie Champignon, Fliegenpilz und Co. Auch Exemplare mit so skurrilen Namen wie Wildschweinkot-Zärtling, Spitzkegeliger Kahlkopf, Heimtückischer Täubling oder Leuchtendgelber Klumpfuß gehören dazu. In Deutschland gibt es etwa 5000 „Großpilz“-Arten, die mit bloßem Auge zu erkennen sind. Hinzu kommen noch Zigtausende verschiedener Schimmel-, Rost- und Hefepilze.

 

Pilze statt Plastik

Eine, die sich ganz dem Studium dieser Lebewesen verschrieben hat, ist die Biologin Rita Lüder. Bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie kümmert sie sich um die Nachwuchsarbeit und setzt sich dafür ein, die Bedeutung von Pilzen stärker zu würdigen. Für den Kreislauf des Lebens sind sie nämlich unersetzlich: „Jeder Pilz zersetzt organisches Material“, betont Lüder. Erstaunlicherweise gibt es sogar Arten, die Kunststoffe abbauen können: So entdeckten US-Forscher im Dschungel von Ecuador einen Pilz, der Plastik frisst. Pestalotiopsis microspora zersetzt fleißig Polyurethane. Eines Tages wird die Art also möglicherweise als Müllschlucker eingesetzt. „Das könnte noch ein großes Thema werden“, meint Lüder. Andere Ökoprojekte wurden schon umgesetzt: So stellt das New Yorker Unternehmen Ecovative Design als Plastik-Alternative Verpackungsmaterial auf Pilzbasis her. Dazu werden Sägemehl, Fruchtschalen oder Getreidespreu mit Myzel vermengt und in Formen gefüllt. Hat der Pilz das Material durchwachsen, wird die Form getrocknet. Auf diese Weise entstehen Flaschenverpackungen, Saatschalen, Kühlboxen sowie Bau- und Isolationsmaterial – frei von Umweltgiften und leicht kompostierbar.

Hausgemachte Tinte

Um auf Pilze zu stoßen, aus denen sich Nützliches herstellen lässt, müssen Naturfreunde aber nicht um die halbe Welt reisen. In heimischen Parks und an Wegrändern schießen im Herbst allerorten weiße Schwengel aus dem Boden. Der Schopftintling liefert – wie der Name vermuten lässt – eine erstklassige Schreibtinte. „Man stellt den Pilz in ein Glas und wartet, bis er zu Tinte zerfließt“, erklärt Lüder. Das ist eigentlich schon alles. Wer will, kann die Rückstände mit einem Sieb abfiltern. Außerdem wird die Flüssigkeit mit ein paar Tropfen Nelkenöl haltbarer. Dennoch: „Nach etwa einer Woche zersetzt sich die Tinte und fängt an zu stinken“, berichtet die Biologin.

Puristen können zusätzlich Pilzpapier anfertigen: Das funktioniert wie das gängige Papierschöpfen – nur wird statt Papierpulpe ein Brei verwendet, der aus pürierten Pilzen und Wasser besteht. Eine ausführliche Anleitung findet sich im Buch „Pilze zum Genießen“ von Rita und Frank Lüder.

Färben mit Giftpilzen

Dass sich Wolle und Stoffe mit Pflanzen färben lassen, ist bekannt. Färbepilze sind dagegen schon etwas Spezielles. „Ich bin früher eine Speisepilz-Sammlerin gewesen. Dass sich Pilze auch zum Färben eignen, habe ich erst relativ spät gelernt“, erzählt Karin Tegeler aus Sachsen-Anhalt, die in Fachkreisen als Expertin auf diesem Gebiet gilt und regelmäßig Pilzfärbe-Kurse anbietet. Inzwischen durchstreift sie die Wälder gezielt nach ihren Lieblings-Färbepilzen. Sie zu erkennen musste sie neu lernen – denn die Farbstoffspender unter den Pilzen sind nicht unbedingt essbar. „Zum Beispiel bin ich ganz wild auf Hautköpfe“, berichtet Tegeler begeistert. Vor allem der Blutrote und der Blutblättrige Hautkopf haben es ihr angetan, da sie schöne Rottöne liefern. Beide Arten sind giftig – aber das hat nur Folgen, wenn man sie isst. Der Hautkontakt sei dagegen kein Problem, wie sie versichert. Der Färbevorgang ist ziemlich einfach: Dazu kocht man die zerkleinerten Pilze etwa eine Stunde lang, filtert den Sud ab und legt das Material etwa eine Stunde lang ein. Allerdings müssen die Fasern vorher gebeizt werden, damit sie die Farbe annehmen.

Leder aus Schwammerl

Das gelbbraune Material ist sehr stabil und samtig-weich: Wer nicht weiß, dass es aus Zunderschwamm hergestellt wurde, hält es für Wildleder. In einem aufwendigen Verfahren lässt sich das Hutfleisch des Baumpilzes zu Pilzleder verarbeiten. Dabei handelt es sich um keine hippe Innovation für Veganer, sondern um eine alte Technik, die heute nur noch wenige Handwerker, die meisten davon in Transsilvanien, beherrschen. Sie fertigen zünftig wirkende Hüte, Kappen und Taschen aus dem reichlich zähen Baumpilz mit dem wissenschaftlichen Namen Fomes fomentarius. Er gilt als ungenießbar, wird aber seit der Steinzeit verwendet. Auch der Gletschermann Ötzi hatte einen Zunderschwamm bei sich – wahrscheinlich zum Feuermachen. In alten Zeiten nutzte man den Pilz nämlich, um Funken aufzufangen und so ein Feuer zu entfachen.

Vielleicht setzte Ötzi aber auch auf seine Heilkraft. Einst benutzte man den Baumparasiten nämlich als Wundauflage. Unter anderem soll der Pilz entzündungshemmend, blutstillend und wundheilfördernd wirken. Im 18. und 19. Jahrhundert war das Sammeln und Verarbeiten von Zunderschwämmen in manchen Gegenden ein wichtiger Erwerbszweig. Damit ist es lange vorbei. Findige Unternehmer haben den Pilz aber neu für sich entdeckt: Von Kosmetik über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Tierfutter sind inzwischen die verschiedensten Zunderschwamm-Produkte auf dem Markt. Wer selbst ein Exemplar ernten und bearbeiten will, muss aber aufpassen: Der Pilz ist so hart, dass man ihn nur mit scharfen Messern schneiden kann. „Deshalb sollte man dazu Handschuhe anziehen“, rät Lüder.