Seit 30 Jahren ist Roger Waters nicht mehr Mitglied bei Pink Floyd. Im Interview mit Christian Aust erzählt der Musiker, wie The Wall“ sein Leben prägt, warum sein Vater ein Held war und welche Rolle der Alkohol spielt.

Stuttgart - Mit seiner Band Pink Floyd hat der Bassist und Komponist Roger Waters Musikgeschichte geschrieben. In den vergangenen Jahren war Waters nun noch einmal mit einer neuen Version von The Wall ohne Pink Floyd auf Tour. Am 19. November erscheint eine Dokumentation darüber auf DVD. Wir haben aus diesem Anlass mit ihm gesprochen.
Über The Wall sind etliche wissenschaftliche Abhandlungen geschrieben worden. Haben Sie jemals eine davon gelesen?
Ich habe im Laufe der Jahre tatsächlich eine oder zwei Arbeiten gelesen. Und ich fühle mich eindeutig geschmeichelt, dass man meine Arbeit so ernst nimmt. Ich konzentriere mich allerdings mehr auf meine Musik, statt mich mit deren Rezeption zu beschäftigen.
Wenn man Ihre Inszenierung von The Wall sieht, wirkt der Stoff heute so aktuell wie bei seiner Veröffentlichung 1979. Warum ist dieses Album so gut gealtert?
Als ich mich entschlossen habe, noch einmal mit The Wall auf Tour zu gehen, passierten zwei Dinge. Zum einen hatte ich alle möglichen seltsamen Ideen für die Bühnenshow. Mit moderner digitaler Technik kann man ja heute eine Menge machen. Ich habe mich dann mit Mark Fisher getroffen, der das Design für die Original-Aufführung gemacht hat, und der war außer sich. Er meinte, ich müsse die Mauer wieder mit echten Elementen auf der Bühne aufbauen, so wie wir es 1980 gemacht haben.
Was teuer geworden wäre.
Genau. Ich habe dann auch zu ihm gesagt: Mark, mir fällt beim besten Willen kein ökonomisches Modell ein, mit dem sich diese Show rechnen würde. Aber er meinte, die Zeiten haben sich geändert. Die Leute sind heute bereit, viel mehr Geld für Konzert-Tickets auszugeben. Wenn du es durchrechnest, können wir eine Show liefern, die der von 1980 ähnlich ist. Und er hatte Recht. Dann begann die eigentliche Arbeit. Denn ich wollte nicht einfach einen Retro-Aufguss der Show abliefern. Das war mir ungeheuer wichtig. An der Musik konnte ich ja bis auf Kleinigkeiten nichts mehr ändern.
Was genau war Ihnen wichtig?
Ich wollte ein politisches Statement machen, das wesentlich detaillierter und größer ist als das, was wir damals gemacht haben. Es sollte weniger um den persönlichen Zusammenbruch von Pink, dem Popstar gehen. Der zentrale Punkt war für mich der Zusammenbruch der Gesellschaft, die wir aufgebaut haben. Ich wollte etwas über den schlechten Job erzählen, den die menschliche Spezies abliefert, wenn es darum geht etwas anzusteuern, das wir am Ende guten Gewissens Zivilisation nennen könnten.
Welchen Einfluss hat die Geschichte Ihres Vaters auf Ihr Leben?
Ein sehr großen. Seine politischen Ansichten und seine heldenhafte Geschichte haben mich geprägt. Er war kein Held, weil er im Krieg getötet wurde. Er war ein Held weil er für das eingetreten ist, woran er geglaubt hat. Als er 1939 zum Militär einberufen wurde, wusste er, dass er einem anderen Anführer folgen musste und der hieß Jesus Christus. Er wollte keine Menschen töten und hat den Kriegsdienst verweigert. Dazu gehörte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wirklich Mut. Also fuhr er im Blitzkrieg einen Ambulanzwagen durch London und wurde politisch. Zeitweilig war er Mitglied der kommunistischen Partei. Seine politischen Überzeugungen gerieten in Konflikt mit seiner Religiosität. Irgendwann sah er keine Alternative mehr, als sich zur Armee zu melden, um gegen Hitler zu kämpfen. Das tat er dann auch und wurde kurz darauf getötet. Diese Standhaftigkeit zu seinen Prinzipien sind meine Last.
Warum sehen Sie das als Last?
Nun, das ist vielleicht falsch formuliert. Sie sind keine Last. Aber es ist eine Art Vermächtnis und ein Ideal, mit dem ich durch mein eigenes Leben gehe. Ich kann die Überzeugungen meines Vaters nicht betrügen. Obwohl meine Überzeugungen zum Teil ganz anders sind. Ich war zum Beispiel nie ein Christ. Ich habe nie an Gott geglaubt. Trotzdem muss ich seinen Fußspuren folgen. Ich schreibe heute noch Gedichte und Songs, die von ihm beeinflusst sind.
Sind Sie ein Rebell?
Ich war rebellisch, solange ich denken kann, besonders gegen männliche Autorität. Weibliche Autorität konnte ich zulassen, weil ich keine Alternative hatte. Ich wurde von meiner Mutter und ihren Schwestern erzogen, Männer kamen in meiner Familie nicht vor. Männer habe ich nur als Autoritätspersonen in der Schule und Institutionen erlebt. Ich habe mir ihren Mist nicht gefallen lassen, auf gar keinen Fall. Ich konnte da sehr nachtragend sein. Beim Architektur-Studium haben sie mich nach einem Jahr rausgeworfen.
Sie haben Ihre erste Band in den Sechziger Jahren in London gegründet. Überall gab es Drogen. Wie haben Sie diese Zeit überlebt?
Ich habe nie wirklich Drogen genommen, nur ein bisschen. Ich habe zweimal LSD ausprobiert. Aber das war noch ordentlicher Stoff. Kein Mensch weiß heutzutage noch, was in dem Zeug drin ist. In den Sechzigern konnte man sich auf eine gewisse Grundqualität verlassen. Du hast Drogen genommen und bist ausgegangen. Das war gar keine Frage und eine ganz andere Zeit. Ein paar Jahre lang habe ich Marihuana geraucht, weil ich mir einbildete, ich könne so die Zigaretten aufgeben, von denen ich wirklich abhängig war. Aber Hasch hat mir auch nicht wirklich geholfen. Die Droge meiner Wahl war dann Alkohol. Ich schaffe es, die Mengen im Rahmen zu halten. Deswegen hat er mich noch nicht umgebracht.

Roger Waters Äußerungen zu Israels Palästina-Politik ruft seit Jahren Kritik hervor. Der 72-Jährige vergleicht die israelische Regierung in Interviews immer wieder mit dem früheren Apartheidsregime in Südafrika.

 

Seit September 2010 verwendet Waters bei Konzerten einen fliegenden Ballon in Form eines Schweines, auf dem neben Kreuzsymbol, Mondsichel mit Stern, Hammer und Sichel, den Logos von Shell und McDonald’s, einem Dollarzeichen und einem Mercedes-Stern auch ein Davidstern abgebildet ist. In einem Interview verglich Waters die Politik Israels direkt mit dem Holocaust.